
Namibia. Weinanbau verbindet man nicht mit Namibia. Eher extreme Trockenheit und Hitze. Und Trockenheit mögen Weinstöcke nicht. Trotzdem brachten deutsche Siedler Reben mit ins Land – unter anderem nach Omaruru. In der 6000-Einwohner-Gemeinde liegen heute zwei von vier Weingütern Namibias. Ein Ortsbesuch.
Schon zwei Tage nach ihrer Ankunft in der Kristall Kellerei hat Feline Ehresmann ihre Feuertaufe zu bestehen. „Die Presse war plötzlich kaputt, und vor der Tür stand ein Anhänger voll mit Trauben“, sagt die 23-Jährige. Das war Anfang Februar. Weinlese-Zeit in Namibia. „Man kann hier nicht planen wie in Europa und schnell einen Servicetechniker anfordern“, sagt Ehresmann. Die junge Frau studiert in Neustadt an der Weinstraße Önologie und Weinbau. Ein Pflichtpraktikum hat sie nach Namibia geführt. Die meisten ihrer Kommilitonen sind in klassische Weinbauregionen gegangen. „Ich wollte etwas anderes machen und habe auf mein Bauchgefühl gehört“, sagt Ehresmann. Bereut hat sie es nicht. Im Gegenteil, die klimatischen Bedingungen hier sind extrem und kaum mit denen in anderen Anbauregionen zu vergleichen. Namibia gehört zu den kleinsten und trockensten Weinbaugebieten der Welt. „Die Bedingungen lassen sich am ehesten mit Israel vergleichen“, sagt Ehresmann.
Die vier Weinproduzenten Namibias sind eingekeilt zwischen Namib-Wüste im Westen und Kalahari-Wüste im Osten. In Otavi, im Norden des Landes, liegt die Thonningii-Weinfarm. Seit 1998 werden hier Shiraz, Cabernet Sauvignon und Pinotage angebaut. Im Süden keltert Neuras Wein am Rande der Naukluftberge bei Maltahöhe. Und die Kristall Kellerei sowie die Erongo Mountain Winery produzieren im zentralnamibischen Omaruru. Der kleine Ort gilt bis heute als eine der wasserreichsten Siedlungen des Landes. Eine Granitbarriere unter dem Flussbett sorgt dafür, dass der Grundwasserspiegel auch außerhalb der Regenzeiten nicht zu stark absinkt. Deshalb war Omaruru schon zur deutschen Zeit der „Gemüsegarten“ der Kolonie.

Bereits 1872 ließ sich die Rheinische Missionsgesellschaft am gleichnamigen Fluss nieder. 1894 folgten ein Militärposten und deutsche Siedler, die Gemüse, Luzerne und Wein – meist Colombard-Trauben – anbauten. Daraus wurde aber kein Wein gekeltert, sondern Branntwein hergestellt. Etwa zur selben Zeit begannen katholische Priester im rund 200 Kilometer entfernten Klein Windhoek mit Weinanbau auf dem Gelände des heutigen St. Pauls College. Aus den Riesling- und Muskateller-Trauben produzierten sie Messwein und Brandy, der den Spitznamen „Katholischer“ trug.
Die Behörden von Deutsch- Südwestafrika sahen aber weniger die Weinkelterei als den Anbau von Tafeltrauben für den Export als vielversprechend an. Die 1912 in Grootfontein gegründete Versuchsstation für Obst- und Weinbau sollte diesen Ansatz forcieren. Die Wein- und Cognac-Produktion in Klein Windhoek lief übrigens auch nach der deutschen Präsenz weiter und wurde erst mit dem Tod des letzten kirchlichen Kellermeisters 1978 aufgegeben.
Der Namib Red, ein Cuvée aus Shiraz und Merot, vom Weingut Neuras gehört sicher zu den bekanntesten Weinen des Landes. Produziert wird der kräftige Rotwein am Rande der Naukluftberge, einem der trockensten und heißesten Orte Nambias. Als Allan Walkden Davis die Farm Ende der 90er Jahre kaufte, fand er in der Steinwüste nicht nur ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem, das von fünf Quellen gespeist wurde, sondern auch ein paar uralte Rebstöcke, an denen dicke Trauben hingen. Vermutlich stammen sie – wie auch die Bewässerungsanlagen – noch aus der Zeit, als deutsche Siedler hier Gemüse anpflanzten und die Farm der deutschen Schutztruppe als Rastplatz und Versorgungsposten diente. Von den Rebstöcken inspiriert, bestückte Walkden Davis drei Hektar mit Shiraz- und Merlot-Reben. 2001 füllte er den ersten Wein ab.

Der älteste aktive Weinbaubetrieb des Landes ist die Kristall Kellerei. Seit 1990 werden auf viereinhalb Hektar rund um das historische Farmhaus Colombard-Trauben angebaut, aus denen der Rüppels Parrot, ein nach einer in der Gegend beheimateten Papageienart benannter fruchtig-frischer Weißwein, gekeltert wird. Hinzu kommen noch knapp drei Hektar am rund 800 Kilometer entfernten Naute Damm. Auf einem Teil davon wächst unter anderem die rote Rebsorte Tinta Barroca. „Wir experimentieren auch mit Syrah und Tempranillo“, sagt Feline Ehresmann. Doch beide Rebsorten funktionieren in Omaruru noch nicht richtig.
„Wein zu machen ist der einfachere Teil. Die Kunst ist es, in diesem Klima Reben zu pflanzen und sie wachsen zu lassen“, sagt Farmverwalterin Christine van der Vyver. In den vergangenen Saisons hatte die Kristall Kellerei besonders mit Trockenheit zu kämpfen. Wegen der schlechten Regenzeiten führte der Omaruru-Fluss zu wenig Wasser, so dass die Tröpfchen-Bewässerungsanlage nicht richtig funktionierte und die Rebstöcke per Traktor versorgt werden mussten. Doch Trockenheit und Hitze haben auch eine gute Seite. Chemikalien zur Schädlingsbekämpfung braucht es in Namibia nicht, denn die Feinde des Weines heißen nicht Reblaus oder Traubenwickler, sondern Antilope oder Pavian.
Die Erongo Mountain Winery liegt am Ende einer staubigen Sandpiste rund vier Kilometer außerhalb von Omaruru. Die moderne Architektur des Gebäudes, die schattige Terrasse mit Blick auf die Rebstöcke und der mit einer Glasscheibe vom Restaurantbereich abgetrennte Keller mit rund 350 Holzfässern müssen den Vergleich mit Betrieben in Südafrika nicht scheuen.
„Ich wollte Weinbau mit gehobener Gastronomie verbinden“, sagt Wolfgang Koll. In Omaruru hat der 61-Jährige seinen Traum verwirklicht. Als der gebürtige Dortmunder das Land am Ufer des Omaruru kaufte, standen auf den sandigen Böden noch Olivenbäume, die die kalten Winter im südlichen Afrika nicht überlebt hatten.

Der gebürtige Dortmunder war lange im internationalen Stahlgeschäft tätig. Seit 2012 auf rund acht Hektar Wein an – vor allem Shiraz, Cabernet Sauvignon, Malbec und Petit Verdot. In Südafrika und von einem Farmer aus Tsumeb, der Chenin Blanc, Pinotage und Shiraz anbaut, kauft er Trauben zu. 2014 kamen die ersten Flaschen auf den Markt.
Wolfgang Koll ist es wichtig, dass sein Wein ökologisch produziert wird. „Wir verwenden Bio-Kompost und spritzen nichts“, sagt er. Achtzehn Mitarbeiter hat er aktuell, doch ein Kellermeister ist nicht dabei. „Das Weinmachen haben wir inzwischen selber drauf. Der Kellermeister aus Südafrika kommt nur, wenn verschnitten wird“, sagt Koll selbstbewusst.
Der Neuwinzer hat wie die anderen Produzenten mit der fehlenden Infrastruktur für den Weinanbau zu kämpfen. „Namibia ist kein Weinland“, sagt Koll. Es gibt kein Weinbaugesetz, keine Qualitätskontrolle und auch keine technische Infrastruktur. Das heißt, Setzlinge, Material, Maschinen und Ersatzteile müssen aus Südafrika oder Europa beschafft werden. „Auch die Flaschen beziehe ich aus dem Ausland“, sagt Koll. Einen Teil davon lässt er sogar aus Italien kommen. Immerhin gibt es seit November 2013 einen namibischen Winzerverband (NAWAGA) Zudem vermarkten sich die Kristall Kellerei, Neuras, und Thonningii seit ein paar Jahren gemeinsam als „Namibias Wein-Route zwischen zwei Wüsten“.

Während die Weißweine der Erongo Mountain Winery sortenrein ausgebaut werden, kreiert der südafrikanische Kellermeister aus den roten Trauben Cuvées wie den Etosha Blend oder den Krantzberg, eine Komposition aus Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc, Malbec und Petit Verdot Dieser Wein ist kräftiger als der Etosha Blend und besticht durch Noten von Holz, Pfeffer und Nelken. Und dann ist da noch der Namibian Kiss. „Den habe ich eigentlich für die farbige Bevölkerung gemacht. Das ist aber der Wein, der von Deutschen am häufigsten gekauft wird“, sagt Koll und lacht.
In der Kristall Kellerei können Touristen die Weine im Schatten ausladender Bäume zu zu deftigen Oryx-Frikadellen, würziger Bergzebra-Salami oder regionalem Mozzarella genießen. Und auch die Flaschengrößen sind auf die Bedürfnisse der Touristen angepasst, denn abgefüllt werden die guten Tropfen in Halbliterflaschen. „So können Urlauber mehr als eine Sorte mitnehmen, ohne Probleme mit dem Zoll zu bekommen“, erklärt Christine van der Vyver das ungewöhnliche Abfüllmaß. Auch der aktuelle Jahrgang wird nach rund sechs Monaten Reifezeit im Edelstahltank seinen Weg in die handlichen Flaschen finden, denn Önologie-Studentin Feline Ehresmann hat die kaputte Presse zum Glück rechtzeitig wieder zum Laufen gebracht.
Veröffentlicht in 360° Afrika (1/2020) und Mannheimer Morgen