Über Stock und Stein

OLYMPUS DIGITAL CAMERANamibia. Vier Tage abseits ausgetretener Pfade durch ein 2000 Meter hohes Gebirgsmassiv. Drei Nächte im Busch ohne Zelt, aber mit einem atemberaubenden Blick in den Sternenhimmel. Der Khomas Hochland Hiking Trail ist kein „Sonntagnachmittag-Spaziergang“, dafür aber ein unvergessliches Trekking Erlebnis in der afrikanischen Savanne – und manchmal auch der Schauplatz für den Kampf mit dem inneren Schweinehund. Ein Selbstversuch.

Ideales Leoparden-Gebiet hier. Die Tiere lieben diese Vorsprünge und Felslöcher als Unterschlupf“, sagt Hans-Dieter Wiss. Er kneift die Augen zusammen und lässt den Blick schweifen, dann konzentriert er sich wieder auf den Trampelpfad vor sich. Übereinander gestapelte Felsbrocken, Geröll, weicher Sand und mannshohes Gras machen das Vorwärtskommen in der immer enger werdenden Schlucht zu einem Kraftakt. Obwohl die Sonne zwischen den senkrecht in die Höhe wachsenden Felswänden nicht zu sehen ist, staut sich die Hitze auf Saunatemperatur, treibt mir den Schweiß aus allen Poren und erweckt meinen inneren Schweinehund zum Leben. Und das schon nach rund fünf Stunden auf dem Khomas Hochland Hiking Trail. „Der Trail ist kein Sonntagnachmittag-Spaziergang“, hatte mir Johann Vaatz augenzwinkernd mit auf den Weg gegeben. Schon nach ein paar Kilometern ahne ich, was er damit gemeint haben könnte. Die erste Etappe der rund 60 Kilometer langen Vier-Tages-Tour (die zweite Variante, eine 6-Tages-Tour, ist etwa 100 Kilometer lang) führt von seiner Gästefarm Düsternbrook über das Gebiet von Hans-Dieters Farm Otjiseva zum ersten Rastplatz in den Bergen des Khomas Hochlandes. 16 Kilometer trennen Startpunkt und Etappenziel voneinander. Eine Oryxspur, mit weißer Farbe auf große Steine oder an dicke Baumstämme gepinselt, weist den Weg.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAJeden Schritt vorsichtig setzend klettert Hans-Dieter über die locker liegenden Steine. Plötzlich bleibt er stehen und zeigt in die Krone eines Feigenbaumes. In knapp fünf Metern Höhe hängen die Reste eines Rinderkalbes über einem Ast. Ein Leopard hat seine Beute dort zum Schutz vor braunen Hyänen in den Baum gehängt. Die Raubkatzen-Mahlzeit war eines von Hans-Dieters Kälbchen.

Seit vier Jahren führt der Khomas Hochland Hiking Trail über das Land des Rinderfarmers. Zusammen mit vier benachbarten Farmern hat er den Wanderweg gegründet. Das vom namibischen Staat geförderte touristische Projekt soll ein zweites Standbein neben der Rinderzucht sein und die beteiligten Farmer vom Klimawandel unabhängiger machen. Hans-Dieter und seine Nachbarn spüren die Folgen des Klimawandels deutlich. „Wir alle müssen zufüttern, sonst würden die Tiere verenden, weil sie nicht genügend Gras finden“, sagt der Farmer. Seit rund zwei Jahren wird diese Region Namibias von einer extremen Dürre heimgesucht. „Die Farmer im Süden des Landes leiden teilweise schon seit sechs Jahren unter der Trockenheit. Unter diesen Bedingungen könnten wir gar nicht mehr existieren“, sagt Hans-Dieter. Wie sehr die Tiere auch im Khomas Hochland leiden, haben wir am Eingang zur Schlucht gesehen. Etwas abseits des Weges lagen dort die ausgemergelten Kadaver eines Rindes und einer Oryx-Antilope im Unterholz. Normalerweise weiden 650 Rinder auf Otjiseva. Wegen der Trockenheit hat Hans-Dieter seinen Bestand aber schon auf rund 300 Tiere verringert. Dabei bedeutet der Name seiner Farm Otjiseva in der Herero-Sprache eigentlich so viel wie „Platz des Wassers“. Doch die Wasserstelle ein paar Hundert Meter vom Farmhaus entfernt ist schon irgendwann in den 1930er Jahren ausgetrocknet. Heute versorgen tief in den steinigen Boden getriebene Bohrlöcher Rinder und Wild mit Wasser. Durch den ausbleibenden Regen drohen aber auch diese Quellen zu versiegen.

OLYMPUS DIGITAL CAMERADer namibische Staat hat ein Programm aufgelegt, mit dem in fünf Pilotregionen nach Wegen aus der Regenabhängigkeit gesucht werden soll“, sagt Johann Vaatz. Neben dem Khomas Hochland sind das die Gebiete rund um den Waterberg und das Sossusvlei, der Fish River Canyon sowie die Caprivi-Region. Das Geld, das der namibische Staat verteilt, stammt aus einem Fond der Vereinten Nationen, mit dem besonders von der Erderwärmung betroffene Länder unterstützt werden sollen. Namibia gehört zu den Ländern, die Gelder aus diesem Topf abrufen können. „Mit unserem Projekt wollen wir einerseits das Farmen umweltfreundlicher und uns Farmer gleichzeitig unabhängiger von Niederschlagsmengen machen“, sagt Johann Vaatz. Doch bevor der Trail an den Start gehen konnte, mussten die Farmer verschiedene Vorprojekte umsetzen. So wurde unter anderem eine digitale Karte mit den permanenten Wasservorkommen in der Region erstellt. „Diese Karte hilft uns heute auch beim Löschen von Buschbränden“, sagt Johann Vaatz. Außerdem wurden die Wasservorkommen intensiv untersucht, die Qualität des Wassers bewertet, sowie Verunreinigungen und mögliche Verursacher identifiziert. „Diese Projekte und auch die Entwicklung des Trails haben wir gemeinsam mit dem Ministerium für Entwicklung und Tourismus und dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen umgesetzt“, sagt Johann Vaatz.

IMG_5989Der deutschsprachige Namibier ist ein Machertyp, jemand der die Dinge anpackt. „Ich hatte auf meiner Farm schon Wanderwege und die sind bei den Gästen sehr gut angekommen“, sagt Johann Vaatz. So entstand die Idee eines farmübergreifenden Trails. Dann verdreht er die Augen und erzählt von unendlich langen und ermüdenden Projektsitzungen, die nötig waren, bis der Khomas Hochland Hiking Trail endlich an den Start gehen konnte. Doch seit April 2015 führt der Trail über Ländereien der Farmen Düsternbrook, Otjiseva, Onduno, Godeis und Monte Christo.

Nach dem schweißtreibenden Aufstieg durch die stickige Schlucht liegt das erste Etappenziel, der Gustav-Posten, auf einer sanft geschwungenen Anhöhe. Der Rastplatz besteht aus einem Unterstand mit Wellblechdach, einer Feuerstelle, einer aus Natursteinen gemauerten Toilette und einer Dusche. Ein Brunnen liefert frisches Trinkwasser. Im Schatten des Unterstandes steht eine Kühlbox. Darin warten saftige Oryx-Steaks, Sosaties (südafrikanische Fleischspieße) und ein Sixpack kaltes Bier. Hans-Dieters Frau Susanne hat die Kühlbox, unser Gepäck sowie Matratzen und Schlafsäcke bereits am Nachmittag mit dem Pickup zum Rastplatz gebracht. Auf der Webseite des Trails heißt dieser Service „Slackpack“-Variante. „Es gibt auch Wanderer, die ihr komplettes Gepäck auf dem Trail mitschleppen“, sagt Hans-Dieter, während er sich um das Lagerfeuer kümmert.

Nach dem Hunger kommt die Müdigkeit. Ich ziehe den Reißverschluss meines Schlafsacks bis unters Kinn zu, obwohl es nicht kalt ist. Doch in meinem Kopf schwirren noch die Erlebnisse des ersten Tages. Die frischen Geparden-Tritte im Sand des Otjiseva Reviers, die Reste der Leoparden-Mahlzeit im Baum und die Spuren brauner Hyänen in der Schlucht. Rund um den Schlafplatz knistert, zirpt und knackt es im Busch. Alle meine Sinne sind geschärft, bis mich der grandiose namibische Sternenhimmel in seinen Bann zieht…

IMG_5994Am nächsten Morgen schmerzen Beine und Rücken, doch die Wildnis hat mich nicht verschlungen. Nach dem Frühstück – es gibt Müsli und eine große Tasse dampfenden Kaffee vom Lagerfeuer – füllen wir unsere Feldflaschen. Auf der ersten Etappe habe ich vier Liter Wasser gebraucht, während ein paar Müsliriegel, etwas Obst und eine Tüte Nüsse als Pausen-Snacks ausgereicht haben. Heute sind es „nur“ rund zehn Kilometer bis zum Onduno Camp, dem zweiten Etappenziel. Zwischen den Bergrücken gibt es immer wieder weite, grasbestandene Flächen, auf denen Rinder und Antilopen grasen.

 

OLYMPUS DIGITAL CAMERADas Khomas Hochland liegt rund 50 Kilometer nordwestlich von Windhoek. Der Name leitet sich vom Nama-Begriff ‚L Omas‘ ab und bedeutet so viel wie bergig. Das die Nama dem Gebirgsmassiv in Zentralnamibia diesen Namen vollkommen zurecht gegeben haben, beweist die dritte Etappe. Vom Onduno Camp aus sind es rund 17 Kilometer bis zum Baumhaus der Monte-Christo-Farm, dem dritten Übernachtungsstopp. Seit dem Start bei Sonnaufgang führen die weißen Oryxspuren schnurstracks über die wellenartig angeordneten Bergrücken. Auf der einen Seite geht es steil bergauf und auf der anderen Seite genauso steil wieder bergab. Und nach jedem überwundenen Höhenzug wartet der nächste. Als wir uns einen Hang aus losem Geröll und dichten Dornenbüschen empor arbeiten, schrecken wir ein paar Kudu auf. Die Antilopen springen nur wenige Meter weiter in die Büsche, um uns dann genau zu beobachten.

Besonders stolz sind die Trail-Betreiber auf ihre „Green Flag“-Zertifizierung. Der internationale Standard für Trekking Routen garantiert nicht nur besonders authentische Naturerlebnisse, sondern zeichnet auch die nachhaltige und umweltschonende Nutzung der natürlichen Ressourcen durch die Betreiber des Weges aus. Der Otter Trail, ein Weg an Südafrikas Garden Route, ist einer der bekanntesten Green-Flag-zertifizierten Routen im südlichen Afrika. Es gibt aber auch Green-Flag-Trails im Himalaya oder in Südamerika. „Wir werden alle zwei Jahre auf Sauberkeit, Sicherheit und Schwierigkeit überprüft“, sagt Johann Vaatz.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAuf dem letzten Kamm angekommen, öffnet sich das Gebirgsmassiv und gibt einen grandiosen Blick in die Ebene frei. Von Okahandja im äußersten Westen reicht der Blick bis zu den Ausläufern Windhoeks am östlichen Rand des Blickfeldes. Auf dem Bergkamm ist es vollkommen still. Kein Vogelgezwitscher, keine brummenden Insekten. Alle Tiere haben sich zum Schutz vor der Mittagssonne in den Schatten zurückgezogen. Die flirrende Hitze lässt die wie Diamanten in der Sonne funkelnden Wellblechdächer Windhoeks verschwimmen. Zweieinhalb Tage waren wir in Sichtweite der namibischen Hauptstadt fernab jeglicher Zivilisation. Begegnungen mit anderen Wanderern? Fehlanzeige. Zivilisationslärm? Ebenfalls Fehlanzeige. Einzig die Kondensstreifen von lautlos am Himmel vorbeiziehenden Flugzeugen deuten auf die Existenz anderer Menschen hin. Handyempfang? Manchmal, meistens aber nicht. Nur an vier oder fünf Stellen des Trails zeigen Schilder mit dem Schriftzug „Smartphone Reception“ punktuellen Handyempfang an.

IMG_6004Schwindelfrei oder nicht?“, fragt Hans-Dieter. Er zeigt auf eine mit Bäumen bestandene Fläche in der Ferne. „Dahinten ist das Baumhaus“, sagt er. Doch um dorthin zu gelangen, müssen wir erst in die Ebene absteigen. Wir entscheiden uns für die schwindelfreie Variante. Über einen schmalen Pfad und grob gezimmerte Leitern geht es direkt in der Steilwand hinunter in die Ebene. 260 Höhenmeter sind so zu überwinden. Hölzerne Geländer und zwischen den Felsen gespannte Drahtseile sichern den Abstieg. „Es gibt natürlich auch einen Weg für Wanderer, die nicht schwindelfrei sind“, sagt Hans-Dieter. Doch der ist nicht nur rund 700 Meter länger, sondern auch lange nicht so spektakulär, wie die Route direkt an der Abbruchkante des Berges. Mit jedem Meter, den wir in der Felswand absteigen, ändert sich die Vegetation. Und auch die Bodenbeschaffenheit wechselt. Das anstrengende Gekraxel über Felsbrocken und Geröllfelder ist vorbei. Stattdessen führt der Weg durch feinen, weichen Sand in Richtung Baumhaus. Doch das Gekraxel und die extremen Temperaturen sind an meinen Wanderschuhen nicht spurlos vorbeigegangen. An beiden Schuhen löst sich bedenklich die Sohle.

OLYMPUS DIGITAL CAMERADas Baumhaus ist eine phantasievolle Konstruktion aus Holz und Stahl. Über zwei Ebenen schmiegt es sich um den Stamm eines mächtigen Anabaumes. Die Unterkunft für unsere letzte Nacht steht in einem lichten Wald in Sichtweite zum Fluss. In tümpelartigen Vertiefungen des Flussbettes steht noch Wasser. Auf einer Sandbank dazwischen dösen Marabus in der Abendsonne, und am gegenüberliegenden Ufer stillt eine Warzenschwein-Familie ihren Durst. „Da der Fluss fast immer Wasser führt, ist das hier ein Paradies für Vögel“, sagt Hans-Dieter. In der Tat, so intensiv wie hier war das Vogelgezwitscher in den vergangenen Tagen nicht. Mit Klebeband aus dem Erste-Hilfe-Set „verbinde“ ich meine Schuhe und lausche dem Sound der Savanne. Plötzlich kommt Unruhe auf, Hufgetrappel mischt sich unter den Singsang der Vögel. Eine Herde Wasserböcke bricht aus dem Dickicht. Die Tiere sind auf dem Weg zum Fluss.

IMG_6098Der Weg vom Baumhaus nach Düsternbrook am nächsten Tag ist dann auch mit „verbundenen“ Schuhen wie ein „Sonntagnachmittag-Spaziergang“ – jedenfalls im Vergleich zu den vorherigen Etappen. Die 14 Kilometer lange Strecke führt fast die ganze Zeit am Fluss entlang. Die Gerippe abgestorbener Bäume lassen die Landschaft unwirtlich und bizarr wirken. Hans-Dieter findet im Flussbett die frischen Spuren einer Zebra-Herde, die erst vor kurzem hier vorbeigezogen sein muss. Von den Tieren ist nichts zu sehen. Dafür schrecken wir immer wieder Qryx, Springböcke, Pferde und Rinder auf. Und dann steht plötzlich eine Giraffe vor mir. Das Buschwerk reicht ihr zwar nur bis zum Rücken. Trotzdem ist das Tier in der Savanne kaum zu erkennen. Ein paar Sekunden fixiert mich die Giraffe, dann trottet sie gemächlich weiter.

IMG_6068In der Ferne ist das auf einem Felssockel thronende Farmhaus von Düsternbrook zu erkennen. Die Vorfreude auf ein kaltes Bier beschleunigt meine Schritte.Verschwitzt und ziemlich erschöpft, aber auch glücklich und ein wenig stolz passiere ich das Hoftor der Gästefarm. „Sag ich doch, das ist kein Sonntagnachmittag-Spaziergang“, begrüßt mich Johann Vaatz und zeigt lachend auf meine verbundenen Schuhe.

INFORMATIONEN:

Khomas Hochland Hiking Trail:

Der Trail ist von Windhoek aus in rund 45 Minuten mit dem Auto zu erreichen und ideal für geübte Wanderer. Die Saison auf dem Trail startet Anfang April und endet im September. Es gibt zwei Trail-Varianten:

  • Vier-Tages-Tour (rund 60 Kilometer)
  • Sechs-Tages-Tour (rund 100 Kilometer)

Start- und Endpunkt beider Touren ist die Düsternbrook Gästefarm. Da die erste Etappe mit Sonnenaufgang gestartet werden sollte, empfiehlt sich eine Vorübernachtung auf Düsternbrook.

Detaillierte Informationen zum Trail, aktuelle Preise und Buchungsmöglichkeit unter www.hikenamibia.com

Der Trail auf Facebook: www.facebook.com/KHHikingTrail/

Website der Farm Otjiseva

Website der Farm Düsternbrook

Website der Farm Onduno

Website der Farm Godeis

Website der Farm Monte Christo

Auskunft :

Namibia Tourism Board, Schillerstraße 42-44, 60313 Frankfurt, Tel.: +69 133736 0, Deutschsprachige Informationen im Internet: www.namibia-tourism.com

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