
Südafrika. Ein Autowrack an der Straße weist den Weg in den Workshop ko Kasi. Zäune aus aufgeschichteten Autoreifen frieden das Gelände ein. Aus den Gebäuden dahinter schallt Musik. Der Workshop ko Kasi ist kein klassisches Touristen-Ziel, dies wird schnell klar. Ko Kasi ist ein umgangssprachlicher Begriff, der in allen elf amtlichen Landessprachen Südafrikas dasselbe bedeutet: in the township.
Wer sich auf das „Leben im Township“ einlässt, wird herzlich in die Gemeinschaft des Workshops aufgenommen und damit gleichzeitig für die äußerst spartanischen Rahmenbedingungen der „authentischen Township-Erfahrung“ entschädigt.
Denn geschlafen wird in Zelten, die sich im rostroten Sand der Kgalagadi in den Windschatten aufgeschichteter Reifen ducken. Das Nachtlager besteht aus einer Matratze, einem Kopfkissen und einer Decke. Die mit einer Solarzelle ausgestattete Campinglampe sorgt für Licht im Zelt – wenn man morgens nicht vergessen hat, die Lampe in die Sonne zu stellen. Zwei Toiletten und zwei Duschen für alle Gäste müssen reichen. Internet und Handyempfang sind Fehlanzeige – und auch das Zeitgefühl kommt Besuchern hier schnell abhanden.
Das macht aber nichts, denn die Tage im Workshop sind lang und die Nächte kurz. Gegen fünf Uhr, wenn die Sonne ihre ersten Strahlen über den Horizont schickt, erwacht in der benachbarten Siedlung das Leben. Die Ziegen begrüßen den Tag als erste, dann stimmen die Hunde ein. Schließlich dringt auch das Palaver der Familien aus den Häusern nach draußen. Weit vor sechs Uhr pulsiert das Leben auf der Straße, die auch in der Nacht nicht wirklich zur Ruhe gekommen ist. In der Dunkelheit sind immer wieder Lastwagen und Busse am Workshop vorbei gedonnert, um Material und Menschen von Kuruman in die umliegenden Eisenerz-Minen zu bringen. Die Minengesellschaften sind der größte Arbeitgeber in der rund 250 Kilometer nordwestlich von Kimberley gelegenen kargen und dünn besiedelten Region im Norden Südafrikas.
Mpho Cornelius, die Initiatorin des Workshops, kommt von hier, genauer gesagt aus Mothibistadt. Die Siedlung liegt etwas außerhalb der 13.000-Einwohner-Gemeinde Kuruman und wird von einstöckigen, unverputzten Häusern und einfachen Blechhütten, die es als Bausatz inklusive Tür und Fenster schon für 15.000 südafrikanische Rand (ca. 1000 Euro) zu kaufen gibt, dominiert. Auf dem Grundstück neben der Autowerkstadt ihres Vaters hat Mpho Cornelius ihren Traum verwirklicht und zusammen mit Phenyo Nkoi den Workshop ko Kasi gegründet. Davor hat sie in Johannesburg Marketing und Tourismusmanagement studiert und rund drei Jahre beim Südafrikanischen Tourismus Verband gearbeitet. „Der Job hat großen Spaß gemacht, aber mein Bauchgefühl hat mir gesagt, dass ich zurück in mein Dorf muss“, sagt die 25-Jährige.
Phenyo Nkoi, ihrem Geschäftspartner, ging es genauso. „Wir hatten einfach Lust hier etwas zu bewegen“, sagt der 27-jährige Ingenieur. Etwas „bewegt“ haben die beiden im wahrsten Sinne des Wortes. Bevor ihr Workshop-Projekt starten konnte, musste das Gelände von Müll, Schrott und Altreifen befreit werden. Danach wurden alle Gebäude aus natürlichen oder recycelten Materialien erbaut. Viele Freunde haben damals mit angefasst und helfen auch heute noch – zum Beispiel im Café, bei der Betreuung der Gäste und der Organisation von Veranstaltungen.

Die rund 1500 von Mpho und ihren Freunden gesammelten Autoreifen dienen nicht nur zur Umzäunung des Geländes, sondern auch als Sitzgelegenheiten rund um die Feuerstelle. Die ist der zentrale Treffpunkt des Workshops. Sobald es dämmert, wird in einem alten Ölfass in der Mitte des Platzes ein Feuer entzündet. Dort treffen sich dann Besucher und Einheimische zum Storytelling. „Das ist das, was wir abends machen. Wir schauen nicht fern, sondern sitzen zusammen am Feuer und erzählen uns Geschichten“, sagt Mpho. Dieses Ritual erinnert sie an ihre Großmutter, die nicht nur viele Geschichten auf Lager hatte, sondern diese auch sehr gut erzählen konnte. „Die Geschichte unserer Region ist nicht aufgeschrieben, sondern wird durch Erzählen von Generation zu Generation weitergegeben“, sagt Mpho. Doch die Tradition der „Oral History“ – der mündlichen Überlieferung – stirbt in der Nordkap-Provinz – und nicht nur dort – langsam aus. Auch deshalb hat Mpho den Workshop in ihrem Heimatort gegründet. „Wir möchten die Menschen hier wieder für ihre Kultur begeistern und das traditionelle Südafrika mit dem modernen Südafrika zusammenbringen“, sagt Mpho.
Am Lagerfeuer werden deshalb nicht nur die alten Geschichten erzählt. Oft debattiert die Runde auch über die aktuelle Situation im Land, über die Vergangenheit der Regenbogennation und die Identifikation der Menschen mit dem neuen Südafrika. „Die Fußball-Weltmeisterschaft hat uns einen großen Schub gegeben. Damals haben wir uns als eine gemeinsame und gastfreundliche Nation präsentiert und zusammen etwas bewegt“, sagt Phenyo Nkoi. Diese Aufbruch-Stimmung und das Wir-Gefühl von 2010 sollen mit dem Workshop konserviert werden.
Was als Projekt für die lokale Gemeinschaft rund um Kuruman begann, hat sich mittlerweile zu einem über die Region hinaus bekannten Treffpunkt für Künstler, Musiker und kreative Köpfe aus allen Teilen des Landes entwickelt. Das Workshop-Café mit hervorragender authentisch-lokaler Küche und selbst gemachtem Ingwer-Bier ist ein beliebter Begegnungsort für Einheimische und Reisende. Außerdem finden regelmäßig Theateraufführungen, Storytelling-Runden und Konzerte statt. Ein afrikanisches Spa bietet Massagen an und auf Pop-Up-Märkten zeigen junge Künstler ihre Arbeiten.
Auch an diesem Abend gibt es eine Vernissage. Während die Flammen in dem alten Ölfass kleiner werden, zeigen zwei junge Maler ihre Arbeiten. Das warme Licht dutzender Kerzen lässt die knalligen Farben ihrer Bilder im Dunkel der Nacht leuchten. Im Mittelpunkt der Schau steht ein hochformatiges Bild. Es zeigt verschiedene Lebensstationen Nelson Mandelas. In einer reckt der Vater der Regenbogennation zufrieden lächelnd eine Faust in den Himmel. „Dies symbolisiert für mich das geeinte Südafrika“, sagt der junge Künstler. Die Lagerfeuer-Runde nickt zustimmend.
Infos:
Übernachtung: Ab 24 Euro pro Person und Nacht.
Kontakt per Mail:hello@theworkshopkokasi.co.za