
Südafrika. Sanza Sandile ist nicht nur ein begnadeter Koch sondern auch ein packender Geschichtenerzähler, kluger Philosoph und überzeugender Entertainer. In seinem Dinner Club in Johannesburgs Multi-Kulti-Viertel Yeoville kocht er jeden Abend panafrikanische Gerichte für maximal 18 Gäste.
Der große Raum sieht aus wie die Wohnküche einer Studenten-WG. In den wandhohen Regalen türmen sich Teller unterschiedlicher Größe und Farbe, Blechtassen sowie Flaschen und Vorratsdosen mit Gewürzen und Kräutern. Dazwischen steht ein Kühlschrank, groß wie ein Kleiderschrank. Den Rest des mangogelb gestrichenen Raums beherrscht ein riesiger Holztisch. „Willkommen im Yeoville Dinner Club“, sagt Sanza und lacht ein offenes, herzliches Lachen. Dann drückt er den Neuankömmlingen einen fruchtig-herben Drink in die Hand und schickt sie auf den Balkon. Dort tummeln sich schon andere Gäste, schlürfen ihren Cocktail und verfolgen entspannt das Treiben auf der Rocky Street.
Auf der Straße weist kein Schild den Weg in den ersten Stock des Hauses mit der Nummer 24. Es gibt auch keine Speisekarte, und einen ruhigen Tisch für zwei Personen kann man bei Sanza ebenfalls nicht reservieren. Denn der Yeoville Dinner Club ist kein Restaurant, sondern eine ungezwungene Dinner-Party mit maximal 18 Besuchern. An diesem Abend sind drei Deutsche, drei Österreicher, ein Ehepaar aus Großbritannien, zwei Amerikaner, eine Französin und drei Südafrikaner zu Gast. Wer bei Sanza essen möchte, muss ihn via Facebook oder Instagram anfragen – und Glück haben, denn die Plätze sind begehrt und oft Wochen im voraus ausgebucht.

Während Sanza einen riesigen Kohlkopf in dünne Streifen schneidet, wird es auf der Straße laut. Zwei Streifenwagen blockieren die Fahrbahn. Blaulicht taucht die Szenerie in gespenstiges Licht. Polizisten verfolgen einen Drogen-Dealer, der in der Menschenmenge untergetaucht ist, während die Gäste der benachbarten Reggae-Bar das Treiben amüsiert verfolgen. Sanza steckt seinen Kopf durch die Balkontür und sagt: „Das Schauspiel wird hier jeden zweiten Abend aufgeführt“. Dann widmet er sich wieder seinem Kohlkopf.
Yeoville ist ein Schmelztiegel mit bewegter Vergangenheit in Südafrikas Zehn-Millionen-Einwohner-Metropole Johannesburg. Eigentlich sollte der Stadtteil die Heimat der reichen, weißen Bevölkerung werden. So hatten es sich die Stadtplaner gedacht, als sie das Viertel vier Jahre nach der Gründung Johannesburgs im Jahr 1890 anlegten. Es kam anders: Schnell entwickelte sich der Bezirk am östlichen Stadtzentrum zu einem Sammelbecken für Menschen verschiedener Nationen und Kulturen. Das ist Yeoville heute wieder. In der Zwischenzeit war der Bezirk tatsächlich lange ein Rückzugsort für die weiße Mittelschicht. In den späten 80er Jahren, als das Apartheidsregime nicht mehr die Kraft hatte, die Rassentrennung konsequent durchzusetzen, war Yeoville der Brückenkopf für das neue Südafrika. „Damals war die Gegend eine liberale Zone, in der Schwarz und Weiß sich trafen, zusammen aßen und Musik hörten“, sagt Sanza. Doch nach dem Ende der Apartheid im Jahr 1994 kehrten die weißen Einwohner Yeoville den Rücken.
Heute leben hier Migranten aus vielen afrikanischen Ländern, aber auch aus Südamerika, Asien und der Karibik. Knapp 60 Prozent der Bewohner, so die Schätzungen der Behörden, stammen nicht aus Südafrika. Natürlich hat der Stadtteil mit Drogen-Problemen, einer hohen Kriminalitätsrate und massiver Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Aber Dank Menschen wie Sanza Sandile ist Yeoville wieder Brückenkopf und Experimentierfeld für das Miteinander unterschiedlichster Nationalitäten und Ethnien. In seinem Dinner Club möchte Sanza das alte, weiße mit dem neuen, schwarzen Yeoville verbinden. „Die meisten Touristen landen in Johannesburg, schauen sich Mandelas Haus an, besuchen das Apartheidsmuseum und fahren weiter in die Nationalparks. Ich möchte den Menschen das andere Südafrika zeigen“, sagt Sanza. Seine panafrikanischen Gerichte sind eine Fusion aus den unterschiedlichsten Küchen und Kulturen der Menschen, die in Yeoville zuhause sind, und stehen für das andere, das weltoffene, multikulturelle und tolerante Südafrika. Sanza selbst hält sich für einen „kulinarischen Schmuggler“, der mit seinen Gerichten Menschen still und heimlich über verschiedene Landesgrenzen bewegt.

„Ich liebe Kichererbsen“, sagt er und erinnert sich schmunzelnd, wie er in einer Bude ein paar Straßen weiter seine ersten Falafel gegessen hat. „Ich habe mächtig gestaunt. Sie sahen aus wie Frikadellen, aber es ist kein Fleisch darin“, sagt er. Mit mehreren Synagogen, vielen koscheren Restaurants und Bäckereien war Yeoville lange das Zentrum des jüdischen Lebens. Mit dem Exodus der weißen Bevölkerung in den 90er Jahren haben die Juden jedoch ebenfalls das Viertel verlassen. Trotz der Umbrüche ist die Esskultur des Nahen Ostens aber weiter präsent und hat Einfluss auf Sanzas Küche. Im Dinner Club serviert er regelmäßig Falafel. Die verfeinert der Foodie allerdings mit einer pikanten westafrikanischen Erdnuss-Sauce. Hier kommt er zum Vorschein, der „kulinarische Schmuggler“. Die extravagante Kombination passt zu Yeovilles Lebensrealität. Denn seit ein paar Jahren gibt es hier wieder eine kleine jüdische Gemeinde, deren rund 100 Mitglieder mehrheitlich aus Nigeria stammen und zum Stamm der Igbo gehören.
„Das ist Egusi“, sagt Sanza und zeigt auf eine Schüssel mit dampfendem Püree. Das pikante nigerianische Gericht aus Kürbis- und Melonen-Samen wird eigentlich mit Innereien serviert. „Die habe ich weggelassen und es so modern gemacht“, sagt Sanza. Überhaupt sind die meisten seiner Gerichte vegetarisch, viele vegan. In einer anderen Schüssel hat Sanza Cassava mit pürierten Erdnüssen angerichtet. Er hat das Maniok-Gericht, das bei ihm Erinnerungen an Angola und Kongo weckt, mit Kurkuma verfeinert. Außerdem gibt es kross gebratene Fische nach einem Rezept aus Mosambik, in würziger Tomatensoße gekochte Okra-Schoten aus Ghana, westafrikanischen Jollof-Reis mit Zimt, Sumach und Gemüse, knusprig frittiertes Brot aus Bierteig und pikante Mango-Auberginen Pickles.

Zu jedem seiner Gerichte serviert der Koch auch eine passende Erzählung. „Essen ist wie eine Geschichte. Wenn man sie teilt, dann gehört sie auch zu dir“, sagt der 44-Jährige und zeigt auf eine große Platte. Auf der türmt sich ein Mix aus knackig-frischen Rotkohl-Streifen, gerösteter Sesamsaat, Zitronensaft, Rosinen, Olivenöl und Sellerie. „Das Rezept stammt aus Marokko, aber auch bei uns in den Townships sind Kohl-Gerichte sehr beliebt“, erklärt er.
Sanza kennt das Leben im Township. In Swasiland geboren, ist er als kleiner Junge nach Johannesburg gekommen und in Soweto aufgewachsen. Zu Beginn seines Studiums an der Filmhochschule hat es ihn nach Yeoville verschlagen. Dort verliebte er sich in die vielen Bars und Restaurants, in denen authentische Gerichte aus Kamerun, Ghana, Kongo oder Mosambik serviert wurden, und er beschloss zu bleiben. „Alles was ich kann, habe ich mir selber beigebracht und hier gelernt“, sagt er. Eine Kochschule hat Sanza nie besucht, dafür aber vielen Köchen in seinem Viertel über die Schulter geschaut. Notgedrungen. „Als Student bin ich auf der Suche nach etwas Essbarem von Restaurant zu Restaurant gezogen.“ Mit 21 Jahren hat er seinen Master gemacht und danach Dokumentarfilme und Musikvideos gedreht. Doch die Leidenschaft für Kochen und gutes Essen blieb und wurde immer stärker. Schließlich hat er den Job als Filmemacher an den Nagel gehängt und seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Mehr als zehn Jahre versorgte er in seinem „Cook-Shop“, der nicht größer als eine Garage war, Nachtschwärmer aus den Bars und Clubs von Yeoville mit pikanten Samosas und würzigen Currys. Seit knapp zwei Jahren betreibt er seinen Dinner Club.
John, der aus Manchester stammt, aber schon lange in London lebt, wischt mit einem Stück Brot andächtig die letzten Egusi-Reste aus der Schüssel. Der Engländer ist sich sicher, dass selbst Londons kreative Gastronomie-Szene dem Dinner Club nichts entgegenzusetzen hat. Sanza strahlt.

Warum eröffnest du kein richtiges Restaurant?“, fragt Darryl aus Florida. Sanzas Blick schweift an die Decke des Raumes. „Das wäre schwierig“, sagt er. „Meine Zutaten variieren immer ein wenig, je nach dem Angebot auf dem Markt. Deswegen schmeckt meine Küche auch jedes Mal etwas anders. Und sie entwickelt sich beständig weiter.“ Sanza ist permanent auf der Suche nach neuen Gerichten. Inspirationen findet er dabei vor allem in den kongolesischen Bars und Restaurants des Viertels. Außerdem würde ein normales Restaurant nicht zu ihm passen: „Ich mache das jeden Tag auch, um Freundschaften zu schließen“, sagt Sanza.
Der 44-Jährige schreibt auch an einem Kochbuch. Darin sollen nicht nur Rezepte, sondern auch Anekdoten zu seinen Gerichten sowie viele Geschichten aus Yeoville versammelt sein. Für Sanza gehören seine Küche, Geschichten und Yeoville untrennbar zusammen. „Alle Gerichte, die auf dem Tisch stehen, habe ich in der Nachbarschaft entdeckt“, sagt Sanza.
Dann serviert er das Dessert: Gekochte Birnen mit Zimt, Anis, Szechuan Pfeffer und Joghurt. Seine Gäste schauen ihn erwartungsvoll an und warten auf die passende Geschichte. Der 44-Jährige lacht schallend und sagt: „Dazu gibt es ausnahmsweise keine Geschichte. Das sind einfach nur Birnen mit Joghurt“.
Informationen und Buchung:
Yeoville Dinner Club: Der Dinner Club ist von Dienstag bis Sonntag geöffnet. Das Dinner kostet umgerechnet 30 Euro pro Person. Von Dienstag bis Donnerstag bietet Sanza Sandale zusätzlich auch ein Gericht als Lunch an. Touristen wird empfohlen, nicht mit dem eigenen Auto nach Yeoville zu fahren, sondern ein Taxi/Uber zurückzugreifen. Telefon: +27-83-447-4235 oder Buchungsanfragen via Facebook
Anreise: South African Airways fliegt täglich nonstop von Frankfurt und München nach Johannesburg. Preise und Infos unter www.flysaa.com
Unterkunft: Faircity Mapungubwe Hotel, 50-54 Marshall Street, Marshalltown, Johannesburg. Modern eingerichtetes Boutiquehotel in zentraler Lage. Übernachtungen ab 65 Euro im Doppelzimmer inkl. Frühstück. Kontakt: Website
Veröffentlich in Süd-Afrika Magazin 01/2019 und in Südwest Presse