Südafrika. Das Namaqualand ist ein rauer, dünn besiedelter Landstrich im Nordwesten Südafrikas. Noch einsamer als in der bergigen Halbwüste im Grenzgebiet zu Namibia ist es im Diamantensperrgebiet von De Beers. Bis vor fünf Jahren hat das weltgrößte Diamantensyndikat an der Atlantikküste nach den Edelsteinen gesucht. Jetzt wird das Gebiet rund fünf Autostunden nördlich von Kapstadt renaturiert und für Öko-Tourismus fernab der ausgetretenen südafrikanischen Touristen-Routen geöffnet.
„Seht ihr die weißen Linien im Staub?“ Dudley Wessels zeigt aus dem Fenster des Geländewagens und deutet auf eine ramponierte Betonfläche. „Das war mal ein Tennisplatz“, sagt er. Ein paar Meter entfernt von der Sportanlage ducken sich ein handvoll windschiefe Baracken hinter einer Düne. Die Umzäunung des Tennisplatzes hat der Wind schon lange fortgeweht, nur die rostigen Pfeiler stehen noch. Dahinter nur Sand und Felsen, soweit das Auge reicht. Und auf der anderen Seite des Platzes donnern keine 200 Meter entfernt die Wellen des Südatlantik an Land. Gischt spritzt auf, der Horizont verschwimmt im Dunst. Die Luft riecht nach Algen, Feuchtigkeit und Salz.
Der Tennisplatz ist ein Relikt aus den goldenen Zeiten des „Namaqualand Mines Koingaas Komplex“ – einem Diamantenabbaugebiet von De Beers. Bis 1997 wurde hier nach den Edelsteinen getaucht, die Suche an Land sogar erst 2008 eingestellt. Das Sperrgebiet beginnt bei Port Nolloth und reicht 110 Kilometer nach Süden, immer der Küstenlinie entlang. Von dort geht es allerdings nur zwei Kilometer tief ins Landesinnere. Diese ungewöhnlichen Abmessungen haben mit dem Weg der Diamanten zu tun: Seit Urzeiten befördert der Oranje-Fluss, der knapp 100 Kilometer nördlich von Port Nolloth in den Atlantik mündet, Diamanten aus dem rund 2.000 Kilometer entfernten Hochland des Königreichs Lesotho in den Ozean.
Die tosenden Wellen des Meeres spülen die Edelsteine dann wieder zurück an Land. Auch wenn De Beers die dicksten Steine abgeräumt hat, können Glücksritter hier immer noch fündig werden und Schürfrechte erwerben. Deshalb hat Dudley seinen Gästen auch gleich zu Beginn der Tour eingebleut: „Wer einen Diamanten findet, liegenlassen und nicht mitnehmen. Das gibt richtig Ärger!“ Der in Durban geborene Südafrikaner weiß, wovon er spricht, denn er hat sein ganzes Berufsleben lang mit Diamanten zu tun gehabt, erst als Minen-Manager, dann als Operations-Manager wo er für vier Minen und 3.000 Arbeiter verantwortlich war. Welch ein Hochsicherheitstrakt das Gebiet war, lässt sich noch bei der Einfahrt in den Komplex nahe der Siedlung Kleinsee erahnen. Das Tor gleicht einer Landesgrenze: Fenster und Türen der Baracken sind vergittert. Schilder mit Warnhinweisen auf Englisch und Afrikaans stehen rechts und links der Straße. Scheinwerfer tauchen die Szenerie mitten im Nichts auch nachts in grelles Licht. Hohe Zäune mit Stacheldraht-Krone durchschneiden die Halbwüste, Schlagbäume und Kameras sichern Zufahrtswege. Nur wer einen Passierschein hat, darf einfahren.„Insgesamt neun Prozent der südafrikanischen Küstenlinie gehören De Beers“, erklärt Dudley.
Der pensionierte Minen-Manager betreibt mit seiner Frau jetzt eine einfache Lodge in einem aufgegebenen Diamantentaucher-Camp innerhalb des Sperrgebiets und bietet Touren über das Gelände oder zu den Schiffswracks an, die im Laufe der Jahrzehnte den Kampf gegen Wind, Wellen und Strömung des rauen Südatlantik verloren haben. Eines davon ist die Piratiny. 1921 in Italien gebaut, ranken sich um das im Juni 1943 rund 32 Kilometer nördlich der Hondeklip Bay zerschellte Schiff viele Mythen und Legenden. Der 5.000-Tonnen-Frachter – beladen mit Schuhen, Kleidung und Lebensmitteln – war auf dem Weg von Brasilien nach Kapstadt, als er hier zerschellte. „Eine Legende sagt, die Piratiny sei vom Torpedo eines deutschen U-Bootes getroffen worden“, erklärt Dudley. Eine andere meint, das deutsche U-Boot habe die Piratiny nur angefunkt und zum Stoppen aufgefordert. Der Kapitän der Piratiny habe sich daraufhin näher an die Küste gewagt, in der Hoffnung, das U-Boot könne wegen der Untiefen nicht folgen. Dabei sei der Frachter auf ein Riff gelaufen und zerschellt. Wie auch immer sich das Unglück vor 70 Jahren zugetragen hat, das Dampfschiff hat es beim Aufprall auf die Küste in mehrere Teile zerrissen. Der Bug ragt bis heute in den Himmel, die Schiffsplanken an Deck sind von Wind, Wasser und Sonne zerfressen. Trümmer liegen zwischen den Felsen, Rost hat die Steine um das Wrack blutrot eingefärbt. Der Geruch von altem, feuchten Eisen hängt schwer in der Luft.
Insgesamt fünf Schiffe im Umkreis von fünf Kilometern sind hier an der stürmischen Küste in den letzten Jahrzehnten zerschellt. Das letzte erst 1994. Damals hat ein Sturm das kleine Diamond Recovery-Boat, von dem aus Taucher die Küstenlinie nach Diamanten abgesucht haben, einige dutzend Meter ins Landesinnere geschleudert. Dort liegt es bis heute. „Diese Boote wurden auch Marihuana-Boote genannt, weil viele Taucher den lebensgefährlichen Job in der Brandung ohne Drogen oder Alkohol nicht ausgehalten haben“, sagt Dudley.
Heute arbeiten in dem Gebiet nur noch rund 100 Leute, früher waren es ein paar Tausend. „Die Arbeiter sind mit der Verwaltung und der Renaturierung des Geländes beschäftigt“, erklärt Dudley. Dafür werden nicht nur die Förderbänder und Anlagen, in denen der Sand durchgesiebt wurde, demontiert, sondern auch Profilbegradigungen vorgenommen. So werden die tiefen Schürfl.cher, die wie Wunden in der Landschaft klaffen, zugeschüttet und die riesigen Abraumhalden mit dem Sand vom Meeresgrund abgetragen, um das Gelände für ökologischen Tourismus vorzubereiten. Denn neben Diamanten birgt das Sperrgebiet noch viele weitere, auf den ersten Blick unscheinbare Schätze: seltene Sukkulenten-Arten. Die saftreichen Gewächse haben sich bestens an die besonderen Boden- und Klimaverhältnisse angepasst und gedeihen in den Dünen mit feinem, weißen Sand oder in den Spalten der bizarren Felsformationen und Geröllhalden. Manche werden zu üppigen Büschen, andere sind zwischen den hüfthohen, sattgrünen Sträuchern kaum zuerkennen. Hauptblüte der Sukkulenten ist im Frühjahr, also von Ende Juli bis Ende September. „Viele Arten sind endemisch, das heißt, sie kommen nur hier vor“, erklärt Dudley. Er zeigt auf gelbe Fäden von ein paar Zentimetern Länge, die wie Lametta an den Ästen eines Strauches hängen. „Flame Lichen. Die wächst nur knapp zwei Millimeter im Jahr“, meint Dudley. „Die hier hat also ein Menschenalter gebraucht, um so groß zu werden“, sagt der ehemalige Minen-Manager ehrfürchtig.
Anreise: South African Airways fliegt von Frankfurt über Johannesburg nach Upington
Touren durch das Diamantensperrgebiet: Reservierung und Informationen unter: www.coastofdiamonds.co.za
Individuelle und geführte Safari-Touren: Infos unter: www.the4x4safari.co.za/tours
Übernachtungstipp: Gästefarm „Die Houthoop“ in Kleinsee. Besitzerin Veronica van Dyk hat lange Minenarbeiter beherbergt und verköstigt. Heute bietet sie Touristen einfache Übernachtungsmöglichkeiten, sowie leckere und deftige landestypische Kost zwischen ihrer Sammlung von Blechgeschirr, Baseballmützen und selbst gemalten Bildern. Infos unter: www.houthoop.info
Informationen zu Südafrika im Netz: www.northerncape.org.za oder www.dein-suedafrika.de
Veröffentlicht im „Mannheimer Morgen“, 10. April 2013