Eine App, die Hunger bekämpft

img_8696
Die App AgriShare wird derzeit in Simbabwe getestet.

Simbabwe. Die Mobilfunkbranche hat Afrika in den vergangenen zwei Jahrzehnten in die Moderne katapultiert. Rund 700 Millionen Handys waren Anfang 2018 auf dem Kontinent registriert – Tendenz rasant steigend.

Die daraus resultierende Vernetzung von Menschen durch digitale Innovationen hat Angebote wie WeFarm erst möglich gemacht. Auf der 2015 gegründeten Plattform tauschen sich Kleinbauern zu Landwirtschaftsfragen online oder per SMS aus. So können auch Bauern in ländlichen Gebieten ohne Internet-Zugang am Informationsaustausch teilhaben. Dank des einfachen Konzepts hat sich WeFarm schnell zum Erfolgsmodell entwickelt – im Oktober 2018 wurden für Uganda und Kenia mehr als 1,1 Millionen Nutzer gemeldet. 2019 soll das Angebot – beginnend mit Tansania – auf andere afrikanische Länder ausgeweitet werden.

Mehr als ein Smartphone und eine Internetverbindung braucht man auch für die Nutzung von AgriShare nicht. Die neue App der Welthungerhilfe möchte nichts Geringeres als den Hunger in Afrika bekämpfen und bringt dafür Kleinbauern mit anderen Kleinbauern, Organisationen und Unternehmen zusammen, um eine Zusammenarbeit nach dem Prinzip der Shared Economy zu ermöglichen. Hervorgegangen ist die App aus einem internen Innovation Award der Hilfsorganisation. „Im Juli 2017 saßen 22 Kollegen aus 12 Ländern zusammen und haben sich mit verschiedenen Fragestellungen beschäftigt“, sagt Jochen Moninger, der die Stabsstelle Innovation bei der Welthungerhilfe leitet. „Bei der Frage, wie wir als Organisation ländliches Unternehmertum fördern können, ist die Idee zu AgriShare entstanden“, sagt der 39-Jährige.

img_8707
Traktor leihen, Dienstleistungen buchen, bezahlen – alles per Smartphone.

Seit Anfang Oktober 2018 ist die App im Google Play Store verfügbar. Aktuell wird AgriShare in Simbabwe getestet. Warum ausgerechnet dort? „Simbabwe ist ideal, weil wir hier schon eine App betreiben und viele Erfahrungen gesammelt haben“, sagt Moninger. Kuri Mari, so der Name der App, vermittelt Bauern via Podcasts und Bildern Ideen und Informationen rund um das Thema Wertschöpfung. „Diese App ist einfacher, da sie keine echten Transaktionen abwickelt, sondern auf Informationsvermittlung setzt.  In der neusten Version gibt es aber auch einen Marktplatz auf dem Produkte verkauft werden können“, sagt Franziska Kerting. Die Projektleiterin der Welthungerhilfe begleitet die Einführung von AgriShare vor Ort. Im Vorfeld wurden dafür Multiplikatoren ausgebildet, die ein Smartphone bekommen haben und Ansprechpartner für die App in ihrer Gemeinde sind. „Außerdem spielen unsere „Digital Literacy Clinics“ eine große Rolle“, sagt die 31-Jährige. Dort können Fragen rund um die Nutzung von Smartphones gestellt werden. „So bekommen Interessierte einen Überblick darüber, was ein Smartphone alles kann. Zugleich schaffen wir Anreize in diese Technologie zu investieren. Und nebenbei werden dort auch unsere Apps installiert“, sagt Kerting.

Doch bevor AgriShare in der Region Gokwe an den Start gehen konnte, haben Moninger und sein Team vor Ort viele Interviews geführt, um Bedarfe zu ermitteln und Zielgruppen zu definieren. „Die Bauern sind in den gesamten Entwicklungsprozess eng eingebunden“, ergänzt Kerting. Bei den Analysen wurden 452 Eigentümer landwirtschaftlicher Geräte und Transportmittel ausgemacht. Dieser Gruppe stehen rund 15.000 Kleinbauern, die durch die Nutzung dieser Maschinen ihre Produktivität enorm steigern könnten, gegenüber. Ein Bauer, der keinen Traktor besitzt, kann sich über AgriShare mit ein paar Klicks einen Traktor oder einen Lkw zum Transport seiner Ernte ausleihen. Darüber hinaus können so auch Mechanikerstunden oder ähnliche Dienste gebucht werden. Abgerechnet werden die Dienstleistungen über das Smartphone.

Dieses Bezahl-Modell ist in Ostafrika schon gang und gäbe. Bereits im März 2007 wurde das via Mobiltelefone abgewickelte Überweisungsverfahren M-Pesa eingeführt. Die Grundidee stammt von kreativen Kunden des Mobilfunkanbieters Safaricom, die ihr Telefonguthaben in ein Zahlungsmittel verwandelten. Heute wird mit M-Pesa in Cafes und Tankstellen oder beim Straßenhändler um die Ecke bezahlt. Sogar das Schulgeld oder die Stromrechnung kann über M-Pesa beglichen werden. Profitiert haben davon vor allem die diejenigen, die von den Banken mangels festem Einkommen links liegen gelassen werden. In vielen afrikanischen Staaten verfügen nur rund zehn Prozent der Haushalte über ein Bankkonto.

Der M-Pesa-Hype hat Kenia einen Digitalisierungs-Schub gegeben. Nirgendwo in Afrika werden heute mehr Apps entwickelt als in dem ostafrikanischen Land, das deshalb auch – als Afrikas Antwort auf das amerikanische Silicon Valley –  als „Silicon Savannah bezeichnet wird. Grundsätzlich steigt in Afrika die Zahl der Technologie-Hubs – Orte, in denen digitale Ideen entwickelt werden – laut einer Studie der Weltbank rasant an. Diese konzentrieren sich aber auf Südafrika, Ägypten, Kenia, Nigeria und Marokko.

img_8729
Multiplikatoren stehen in den Gemeinden als Ansprechpartner zum Thema „Smartphone-Nutzung“ zur Verfügung.  (Bilder: Welthungerhilfe)

In Kenia spielen die digitalen Innovationen schon eine wichtige ökonomische und soziale Rolle. M-Pesa hat die Wirtschaft wachgerüttelt und viele neue Geschäftsmodelle hervorgebracht. Eines davon ist M-Kopa, bei dem Menschen für 40 Cent am Tag ein Set bestehend aus einem kleinen Solarpanel, einer Batterie, einer Lampe und einem Radio finanzieren. Ohne M-Pesa wäre dies nicht möglich, denn in dem Set ist ein Chip verbaut, der die tägliche Rückzahlung via M-Pesa abrechnet. Ähnlich funktioniert M-Tiba, eine Krankenversicherung, bei der die Kunden von ihrem Handy-Konto aus monatlich Beträge einzahlen, mit denen dann Arztbesuche beglichen werden.

Diese digitalen Innovationen können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass 75 Prozent der Bevölkerung in Afrika südlich der Sahara noch keinen Internetzugang haben. In Ländern wie Niger, Burundi und dem Tschad sind es sogar 95 Prozent.

Auch in Simbabwe verfügt noch lange nicht jeder Bauer über ein Handy. Trotzdem profitieren auch sie von AgriShare. „Dank der Gruppenverleih-Funktion können such Bauern mit oder ohne Smartphone in einer Gruppe zusammen tun und gemeinsam die App nutzen. Und dann gibt es auch die Möglichkeit für einen Freund etwas auszuleihen“, sagt Franziska Kerting.

Jochen Moninger sieht enormes Potenzial durch den wachsenden Grundstamm digitaler Infrastruktur in Afrika. Er kennt aber auch die Schwierigkeiten, mit denen viele Start-ups zu kämpfen haben. „Es gibt tolle Lösungen, die mit kleinen Gruppen funktionieren. Das Problem ist, in die Breite zu gehen und den Zugang zu den Zielgruppen zu finden“, sagt Moninger, der selber zwölf Jahre lang in verschiedenen Ländern Afrikas tätig war. An dieser Stelle müssen seiner Meinung nach Organisationen wie die Welthungerhilfe ansetzen. „Wir haben die Kontakte und können die Zielgruppen zueinander bringen“, sagt der gelernte Kultur-Geograph.

Zielgruppen zueinander zu bringen ist, auch das Anliegen der ersten re:publica auf afrikanischem Boden. Mitte Dezember war die Digital-Konferenz zu Gast in Ghanas Hauptstadt Accra. Dort wollten die Veranstalter die digitale Kluft überbrücken und digitale Lösungen mit sozialem Mehrwert auf dem Kontinent fördern. Dabei sollten gezielt die Schnittmengen von Digitalisierung und Entwicklungszusammenarbeit genutzt werden.

AgriShare wurde übrigens schon auf der re:publica 2018 in Berlin präsentiert – vor großem Publikum und viel positivem Feedback. 2019 soll AgriShare in drei weiteren Regionen Simbabwes sowie in Malawi ausgerollt werden, bevor 2020 der Sprung nach Uganda geplant ist. Denn die Zeit drängt, um das selbstgesteckte Ziel der Welthungerhilfe „Zero Hunger bis 2030“ in allen Ländern, in denen die Organisation aktiv ist, zu erreichen.

Veröffentlicht im Magazin  360° Afrika, 01/2019

 

Kommentare sind geschlossen.

Website bereitgestellt von WordPress.com.

Nach oben ↑