Afrika im Mittelalter Über Afrika im Mittelalter ist in Europa wenig bekannt. Die Basis für die Erforschung der Zeit zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert sind arabische Quellen. Der französische Historiker François-Xavier Fauvelle hat jetzt ein Buch vorgelegt, das ein lebendiges Bild dieses Zeitraums zeichnet.
König Musa von Mali war ein Herrscher mit einer Vorliebe für pompöse Inszenierungen. Auf seiner Durchreise zu den heiligen Stätten des Islam in Arabien sollen er und seine 10 000 Gefolgsleute Ägypten mit so viel Gold geflutet haben, dass der Preis des Edelmetalls dort auf Jahre hinaus einbrach. Davon berichteten arabischen Quellen noch ein halbes Jahrhundert später ausführlich. Musas Pilgerfahrt nach Mekka ist gut dokumentiert, doch wo sich die Hauptstadt seines Reiches zu Beginn des 14. Jahrhunderts befand, ist bis heute nicht bekannt.
Musas Regentschaft fällt in eine Periode, die Raymond Mauny, der in Frankreich als einer der Begründer der Geschichte des Alten Afrika gilt, als „dunkle Jahrhunderte“ Afrikas bezeichnet. Mauny meint damit die acht Jahrhunderte vom Ende der gut bekannten afrikanischen Zivilisationen der Antike bis zum Eintreffen der ersten portugiesischen Entdecker im 15. Jahrhundert. Während Afrikas Geschichte ab dieser Epoche auch gut dokumentiert ist, reichte das Wissen des mittelalterlichen Europas über afrikanische Königreiche wie Ghana oder Mali oft nicht über das Legendenhafte hinaus. Deswegen wundert es nicht, dass François-Xavier Fauvelle in seinem Buch „Das goldene Rhinozeros“ zumeist arabische Quellen über Afrika im Mittelalter sprechen lässt. Denn die meisten größeren politischen Gebilde des Kontinents zwischen dem 8. und 15. Jahrhundert standen in Verbindung mit der islamischen Welt.
Die große Triebfeder des Austausches zwischen dem „islamischen Universum“ – so nennt Fauvelle die islamischen Machtzentren am Mittelmeer und auf der arabischen Halbinsel – und den afrikanischen Hochkulturen an der Peripherie der islamischen Einfl usssphäre war der Handel. Dabei ging es um Sklaven und Salz, das im äußersten Norden des heutigen Mali in großen Blöcken abgebaut und dort sogar zum Hausbau verwendet wurde. Handelsware Nummer eins aber war Gold – nicht zuletzt wegen des unstillbaren Hungers der Europäer nach dem Edelmetall.
Das Gold wurde in Groß-Simbabwe südlich des Sambesi, im christlichen Königreich Abessinien und in Westafrika südlich der Sahara von der Atlantikküste bis zum Fluss Niger gewonnen und über Zwischenhändler durch die Sahara ans Mittelmeer oder von den Metropolen der Ostküste nach Indien transportiert. Dieser beständige Austausch an Menschen, Gütern und religiösen Anschauungen führte zur Bildung einflussreicher afrikanischer Gesellschaften, die vom Süden Europas bis nach China hohes Ansehen genossen. In ihren Städten wurden Moscheen und Kirchen gebaut, und ihre Herrscher lebten in luxuriösen Palästen.
In 34 Kapiteln spannt Fauvelle, der an der Universität Toulouse Afrikanische Geschichte lehrt, einen Bogen über die gesamte Breite des Kontinents. Die historischen Schauplätze reichen von den Atlantikküsten der Sahara über die Sahelzone bis zum Roten Meer und dem Horn von Afrika im Osten des Kontinents. Im südlichen Afrika werden die Ruinen von Groß-Simbabwe und die historische Stätte von Mapungubwe in Südafrika beleuchtet. Der bedeutendste Fund dort, eine etwas mehr als 14 Zentimeter lange und nur 42 Gramm schwere Rhinozeros-Skulptur aus Goldblech, hat Fauvelles Buch seinen Titel gegeben.
Das goldene Rhinozeros wurde 1932 auf dem Hügel Mapungubwe in der Provinz Limpopo im Norden Südafrikas entdeckt. Schatzsucher waren in der felsigen Region über einen alten Friedhof gestolpert, der die Überreste einer Zivilisation aus dem 10. bis 13. Jahrhundert bewahrte. Neben dem Rhinozeros aus Goldblech fanden sich in den Gräbern tausende Glasperlen aus Werkstätten im Südosten Indiens, Kaurimuscheln von den Malediven, jadegrünes Steinzeug aus der chinesischen Song-Dynastie, Armreifen aus Elfenbein und die Reste von Raubkatzenfellen, die Spuren von Zuschnitten aufwiesen. Die Grabfunde deuten darauf hin, dass das kleine Königreich im regen Austausch mit der Handelszone des indischen Ozeans stand.
Doch welche Bedeutung hatte das goldene Rhinozeros? Die Skulptur hat nur ein Horn, afrikanische Nashörner haben aber zwei Hörner. Zeigt das Kunstwerk, welches zum Wahrzeichen des vorkolonialen Südafrika wurde, ein Indisches Panzernashorn oder ein Java-Nashorn? Beide asiatischen Spezies haben nur ein Horn. Die These vom importierten Kunstwerk vertraten südafrikanische Forscher vor allem während des Apartheid- Regimes, obwohl chemische Untersuchungen des Goldes auf eine regionale Herkunft deuten. Doch das spielte keine Rolle, denn ihre These war politisch motiviert. Stellte Mapungubwe doch das Geschichtsbild des Apartheid-Regimes in Frage, nach dem die Zivilisation Südafrikas erst 1652 mit der Ankunft der Niederländer in Kapstadt begann.
Bis heute ist nicht klar, welche Bedeutung das goldene Rhinozeros hatte. Denn wie die meisten afrikanischen Gesellschaften dieser Periode haben auch die Bewohner von Mapungubwe keine schriftlichen Quellen hinterlassen. Und auch die materiellen Zeugnisse wie Paläste, Tempel und Festungen aus dem afrikanischen Mittelalter sind, wenn überhaupt, sehr schlecht erhalten oder nur äußerst dürftig von der Forschung dokumentiert.
Auch der Palast des Königs von Mali wurde noch nicht gefunden, aber ein Porträt des märchenhaft reichen Musa hat die Jahrhunderte überdauert. Auf dem Katalanischen Atlas von 1375, der wohl aus einer jüdischen Werkstatt auf Mallorca stammt, ist der Herrscher verewigt. Das Bild zeigt einen dunkelhäutigen Mann mit gestutztem Bart und weichen Gesichtszügen. Musa trägt eine Krone auf dem Haupt und hält in seinen Händen ein Zepter und ein Goldkorn, groß wie ein Apfel. Quellen wie diese, kombiniert mit den fundierten Einordnungen Fauvelles, der es in seinem Buch schafft, die über den Kontinent verstreuten historischen Schauplätze wie Mosaiksteine zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, lassen aus den vermeintlich „dunklen Jahrhunderten“ ein facettenreiches und lebendiges Bild Afrikas im Mittelalter entstehen.
Info: Fauvelle, François-Xavier, Das goldene Rhinozeros – Afrika im Mittelalter, C.H. Beck, August 2017, 320 Seiten, 29,95 Euro, ISBN: 978-3-406-71379-8
Veröffentlicht in „360 Grad Afrika“, Dezember 2017