
Südafrika. Unterwegs mit einem ehemaligen Anti-Terror-Polizisten, der seit vielen Jahren für den Schutz des Meeres am südafrikanischen Ostkap kämpft. Besonders die gefährdeten Brillenpinguine in der Algoa Bay haben es dem 56-Jährigen angetan.
Blitzschnell duckt sich Lloyd Edwards, als die Gischt durch die offene Luke in der Frontscheibe des „Orca II“ schwappt. Der Passagier hinter ihm ist nicht so schnell und schaut wie ein begossener Pudel, als ihm das Wasser langsam vom Kinn auf’s T-Shirt tropft. Lloyd lächelt verschmitzt, und duckt sich gleich wieder weg. Ein Kapitän, der Angst hat nass zu werden – und das in einem offenen, nur 10,5 Meter langen Fieberglasboot vor der schroffen und wellenreichen Küste des südafrikanischen Ostkaps.
Vielleicht ist seine „Angst vor dem Wasser“ darin begründet, dass der 57-Jährige ein Spätberufener ist. In seinem ersten Leben war der drahtige Südafrikaner Polizist und Mitglied in einer Antiterroreinheit, die auf die Bekämpfung von Linksterrorismus spezialisiert war. „Es ging um die Strömungen innerhalb des ANC, die die Weißen komplett aus dem Land jagen wollten“, hat Lloyd noch an Land im Hafen seiner Heimatstadt Port Elizabeth gesagt. Während er das Boot klar zum Auslaufen zu den Pinguin-Brutstätten macht, erzählt er von den Waffennestern und Sprengstoffvorräten, die er mit seiner Einheit im Hinterland der Küste hat hochgehen lassen. Ein Jahr nach der Wahl Nelson Mandelas zum Präsidenten, quittiert er schließlich körperlich und geistig ausgelaugt den Dienst. Das war 1995. „Ich habe zu viele schreckliche Dinge gesehen“, sagt er mit leerem Blick. Nach diesem Satz schweigt Lloyd lange.
Heute hat sich der braungebrannte Mann mit dem silbergrauen Haar und den Lachfalten rund um die Augen ganz dem Umweltschutz verschrieben. Sein Anliegen ist die weitläufige Algoa Bay, in der sich Wale, Delphine, Haie und die größte Brutkolonie des afrikanischen Brillenpinguin tummeln. Seit 1997 zieht Lloyd durch die Schulen von Port Elizabeth und der Umgebung, um die lokale Bevölkerung über das Ökosystem Meer und seinen Schutz aufzuklären, organisiert groß angelegte Säuberungsaktionen der Strände und Küstenabschnitte rund um seine Geburtsstadt und fährt Interessierte mit seinem „Orca II“ raus zu den schroffen Felseninseln, auf denen die gefährdeten Pinguine brüten. „Schon komisch, dass ich immer eine Ideologie brauche, für die ich arbeiten kann“, sagt Lloyd, als er mit seinem Boot den Hafen verlässt.
Dabei hat er das Meer und seine Bewohner schon als kleiner Junge geliebt. „Ich wollte immer Meeresbiologe werden“, sagt Lloyd. 1980 hat er sein Studium an der Rhodes Universität in Grahamstown aufgenommen. Dann kam der „Krieg“ und er wurde Polizist. Heute studiert er wieder und steht mittlerweile kurz vor seinem Master-Abschluss. „Es gibt hier in der Region 120 Wale. Ich beobachte und erforsche sie“, sagt er über sein Studium.

Am Horizont taucht die erste von drei Pinguin-Inseln in der Algoa Bay auf. Brenton ist nicht mehr als ein Fußballplatz großer Felsklotz im Indischen Ozean vor Port Elizabeth. Die gesichtslose Industriestadt rund 750 Kilometer östlich von Kapstadt wird hinter dem Boot langsam kleiner. Auch von der Seeseite aus dominieren die Hafenanlagen das Stadtbild. Auf den Piers stehen hunderte Autos, eingeschweißt in eine weiße Schutzfolie, auf der sich die Sonne grell spiegelt. „General Motors und VW haben in der Stadt große Produktionsstätten“, erklärt Peter Giddy. Hinter den Hafenanlagen ragt ein silbergraues „Ufo“ aus dem Stadtbild hervor. „Das ist das Nelson-Mandela-Bay-Stadion. Hier hat Deutschland in der Vorrunde gegen Serbien verloren“ sagt Giddy. „0:1“, erklärt der Guide und grinst dazu breit – zumindest bis zum verbalen Konter: „Wie weit ist Südafrika eigentlich bei der WM 2010 gekommen?“
Lloyd mustert derweil die Felsen von Brenton durch sein Fernglas. „Hier ist heute nichts los, keine Pinguine, zu viele Wellen, die die Felsen fast komplett überspülen“, murmelt er, dann schmeißt er die beiden 150 PS starken Außenbordmotoren wieder an und nimmt Kurs auf die nächste Insel. St. Croix ist wesentlich größer als Brenton und liegt knapp fünf Kilometer vor Port Elizabeth im Indischen Ozean. Mit knapp 22.000 Tieren beherbergen die Inseln in der Algoa Bay die größte Brutkolonie der gefährdeten afrikanischer Brillenpinguine auf der Welt. Die Bucht ist für viele Meerestiere der ideale Lebensraum, weil sie zwei Meeressysteme vereint: Das des Cape Agulhas und die nährstoffreiche Aufwärtsströmung des Benguela-Systems. Deswegen ist die Algoa Bay auch einer von sechs sogenannten Hope Spots in Südafrika, die im Jahr 2014 von der Ozeanografin Dr. Sylvia Earle ins Leben gerufen wurden. „Die Hope Spots nehmen unter den Meeresschutzgebieten – Südafrika hat insgesamt 24 davon – eine herausgehobene Stellung ein, da sie durch ihre Lage und Artenvielfalt einen entscheidenden Einfluss auf das ökologische Gleichgewicht der Meere haben“, erklärt Peter Giddy.
„Ein Grund dafür war auch, dass die Pinguin-Population innerhalb von sieben Jahren um 70 Prozent abgenommen hat“, ergänzt Lloyd, während er das Boot

durch die Wellen lenkt. Nur mit Flipflops an den Füßen federt er die Wellenstöße mit leicht eingeknickten Knien ab, und immer auf der Hut sich vor der Gischt wegzuducken.
Heute leben afrikanische Brillenpinguine an der afrikanischen Westküste vom südlichen Angola, über Namibia bis zur südafrikanischen Ostküste bei Natal im Grenzgebiet zu Mosambik. Schätzungsweise 55.000 Brillenpinguine leben heute im südlichen Afrika noch in freier Wildbahn, zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren es noch 1,5 Millionen der 60 bis 70 Zentimeter großen Vögel. Die Gründe für den starken der Rückgang der Population sind vielseitig. Neben dem intensiven Guano-Abbau zur Dünger-Produktion bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts, sind die Überfischung, insbesondere von Schwarmfischen wie Sardinen, das Absammeln von Pinguin-Eiern für den Verzehr durch Menschen sowie die Verschmutzung der Ozeane mit Plastikmüll und illegal verklappten Öl die Hauptgründung für den Rückgang der Vögel. „Der kleinste Tropfen Öl auf den Federn der Vögel sorgt dafür, dass diese ihre Wasserdichtigkeit und Isolation vor dem kalten Wasser verlieren“, erklärt Lloyd. Für viele Tiere ist dies ein sicheres Todesurteil. Die Verschmutzung der Gefieder durch Öl ist besonders heikel, da die Pinguin-Brutgebiete auf den Inseln der Algoa Bay heute mitten in der Hauptroute der Frachtschiffe auf ihrem Weg um die Südspitze Afrikas liegen. Und die Hafenanlagen von Port Elizabeth in Sichtweite der Pinguin-Kolonien machen das Problem nicht kleiner. Allein werden der einstündigen Fahrt nach St. Croix liegen rund um die kleinen Inseln zehn Frachter in der Algoa Bay vor Anker, und warten auf das Löschen ihrer Ladung.
„Zum Glück gibt es speziell für kranke, verletzte und ölverschmierte Pinguine Rettungs- und Rehabilitationstationen in Südafrika“, sagt Lloyd Edwards. Eines davon ist die Sanccob Seabird Station direkt am 1876 erbauten Leuchtturm von Cape St. Francis, dem südöstlichsten Zipfel Afrikas. Das westlich von Port Elizabeth gelegene Zentrum hat in den vergangenen 50 Jahren rund 94.000 Pinguine und andere Vögel vor dem sicheren Tod gerettet. „Momentan sind 135 Pinguine bei uns“, sagt Kerry Bellcross von Sanccob. In einem Gehege, das mit einer Plane vor der grellen Sonne geschützt ist, stehen kleine Pinguine dicht beieinander. „Diese Vögel sind zwischen zwei und vier Monate alt und wurden von ihren Eltern verstoßen“, erklärt Bellcross. Mit Vitaminpräparaten und Fischen – je nach alter Alter des Pinguins 20 bis 30 pro Tag, werden die Jungtiere aufgepäppelt.

In einem Gehege direkt daneben warten ausgewachsene Pinguine geduldig auf ihr Mittagessen. „Hier pflegen wir die Pinguine, die wir nicht wieder auswildern können“, sagt Kerry Bellcross. „Diese Vögel haben so schwere Verletzungen oder bleibende Schäden durch die Ölverschmutzungen ihrer Gefieder, dass für sie ein Leben in freier Wildbahn nicht mehr möglich ist.“ Insgesamt 35 Pinguine, viele von ihnen sehen nur noch auf einem Auge oder sind komplett blind, leben in diesem Gehege des Zentrums am Fuße des historischen Leuchtturms. 14 Millionen Rand, umgerechnet rund 940.000 Euro, sind im Jahr nötig, um den Betrieb der beiden Rettungsstationen am West- und am Ostkap zu sichern. Als Pflegerin Marna Smith mit einem randvoll mit Sardinen gefüllten Eimer das Gehege betritt, kommt Bewegung in die knapp 70 Zentimeter großen Pinguine. Rund 100 Kilogramm Fisch werden täglich in dem Rehabilitationszentrum der Nichtregierungsorganisation verfüttert. Im Halbkreis positionieren sich die Vögel um ihre Pflegerin und warten geduldig, bis sie von Marna Smith aufgerufen werden. „Jeder der Vögel, die dauerhaft bei uns leben hat einen eigenen Namen“, sagt. Kerry Bellcross. Außerdem trägt jeder Vogel des Centers eine rote oder blaue Markierung am Flügel. „Die Farben sagen etwas über die körperliche Konstitution der Tiere aus“, erklärt die junge Frau. Und über die „Pool-Zeiten“, die die Tiere bekommen. Pinguine mit roter Markierung dürfen drei Mal am Tag eine Stunde im Pool schwimmen, die Tiere mit blauer Markierung nur drei Mal am Tag 20 Minuten. „Regelmäßiges Schwimmen ist wichtig für den Muskelaufbau und für die Wasserdichtigkeit der Feedern“, erklärt die Studentin. Sind die Vögel wieder körperlich fit oder alt genug, werden sie ausgewildert. „Wir bringen die Tiere dann mit einem Boot nach St. Croix und lassen sie dort frei“ erklärt Kerry Bellcross.
Rund 50 Meter vor St. Croix stellt Lloyd Edwards plötzlich die Außenbordmotoren ab, und zeigt auf eine kleine Felsspitze. Das kleine Boot macht jetzt rollende Bewegungen im Takt der Wellen. Die Brandung umspült die Felsen, weiße Gischt funkelt in der Spätsommersonne. Dann tauchen aus dem hellblauen Wasser immer wieder silbergraue Rücken und Flossen auf. Delfine, genauer gesagt Atlantische Große Tümmler, wegen ihrer markanten Kopfpartie auch Flaschennasendelfine genannt. „Wissenschaftler haben in der Aloga Bay rund 28.500 Delfine gezählt“, sagt Lloyd. Deswegen wurden Port Elizabeth und die Algoa Bay 2016 auch zur „Hauptstadt des Atlantischen Großen Tümmlers ernannt. Die Zahl der Delfine, die heute dicht vor St. Croix auf Nahrungssuche sind, schätzt Lloyd auf 250 bis 300. „Die Tiere sind zum Schutz vor Haien so nah an vor der Insel. So müssen sie nur nach einer Seite aufpassen“, erklärt der Ex-Polizist.
Ein paar Meter oberhalb der Delfinrücken, stehen dutzende Pinguine mit ausgebreiteten Flügeln auf den schroffen Felsen von St. Croix in der Sonne und trocknen ihr Gefieder. Es riecht nach Salz, Meer und totem Fisch. Langsam umrundet Lloyd mit seinem Boot die Baum- und Menschenleere Insel. Auf einer Felsenspitze ragt ein großes, schlichtes Holzkreuz in den Himmel. „Das ist die Nachbildung eines Kreuzes, dass der portugiesische Seefahrer Bartolomeu Diaz am Weihnachtstag 1487 auf dem Weg von Portugal nach Indien hier aufgestellt hat. Hundert Kilometer weiter hat dann seine Mannschaft gemeutert und er musste umkehren“, erklärt Lloyd. Wegen des Seefahrers von der iberischen Halbinsel heißt die Bucht auch Aloga Bay. „Das ist portugiesisch und heißt übersetzt auf dem Weg nach Goa“, sagt Lloyd. Ein paar Meter hinter dem Kreuz werden die Ruinen eines Hauses sichtbar. In der Station wurden zwischen 1948 und 1952 rund 95.000 Tonnen Guano gesammelt. „Heute wird das Haus von meiner Frau als Forschungsstation genutzt. Sie ist die einzige, die die Insel betreten darf.“, sagt Lloyd mit Stolz in der Stimme. Vor neun Jahren hat er die Wissenschaftlerin Dr. Lorien Pichegru zu Forschungszwecken auf die Insel gefahren. Zusammen haben sie später den Penguin Research Fund, eine Stiftung, die sich um den Schutz von Pinguinen kümmert, gegründet. Heute lehrt die Meeresbiologin an der Nelson-Mandela-Unversität in Port Elizabeth und ist Loyd Edwards Ehefrau.

Wo sonst, als auf St. Croix hätte Lloyd ihr einen Heiratsantrag machen können. „Wir waren mit einem BBC-Team hier für Filmaufnahmen. Da habe ich einen Ring in ein leeres Pinguin-Ei gesteckt und ihn mit Federn bedeckt…“, sagt Lloyds. Wieder schweigt er lange. Doch diesmal ist sein Blick nicht leer. Stattdessen ziehen feine Lachfältchen fröhliche Furchen um seine Augen.
Veröffentlicht in „Südwest Presse“ und „360° Afrika“