Deutsche Kleinstadt in Afrikas Wüstensand

Luederitz (08)Namibia. Vor 130 Jahren wurde Lüderitz gegründet. Die Stadt war nicht nur Ausgangspunkt des deutschen Kolonialabenteuers in Südwestafrika, sondern ist auch die Keimzelle des heutigen Namibia.

Auf dem Hügel über der Bucht thront weithin sichtbar die Felsenkirche. Davor leuchten Häuser mit Fachwerkelementen und Gründerzeit-Architektur in der Sonne. Lüderitz, im Südwesten Namibias, versprüht den Charme einer verschlafenen deutschen Kleinstadt. Einzig das tiefblaue Wasser des Südatlantiks und die vegetationslosen Hügel ringsherum passen nicht in das Bild von der biederen deutschen Provinz.

Auch wenn Lüderitz dank staatlicher Investitionen von 20 Millionen Namibia-Dollar (rund zwei Millionen Euro) in den 2002 eröffneten Waterfrontkomplex mit Läden, Büros, Restaurants und Jacht-Hafen wieder Anschluss an die Entwicklung des übrigen Namibia gefunden hat, scheint es, als sei die Zeit in der 13.000-Einwohner-Gemeinde stehen geblieben. Man pflegt das koloniale Erbe – nicht nur wegen der deutschen Touristen.

Schließlich hat hier in der Bucht von Angra Pequena – so hieß das Gebiet, bis es 1886 in Lüderitzbucht umgetauft wurde – vor 130 Jahren mit 100 Pfund Sterling und 200 Gewehren alles angefangen. Für diesen Betrag hat Nama-Häuptling Joseph Fredericks am 1. Mai 1883 die Bucht und das Land im Umkreis von fünf Meilen an Heinrich Vogelsang, den Gesandten des Bremer Kaufmanns Franz Adolf Lüderitz, verkauft.

Dabei waren die Deutschen nicht die ersten Europäer, die hier an Land gingen. Rund 400 Jahre vorher war der portugiesische Entdecker Bartolomeu Diaz auf seiner Suche nach dem Seeweg nach Indien bereits in dem natürlichen Hafen gelandet. Angra Pequena – „Kleine Bucht“ – hatten die Portugiesen den unwirtlichen Ort getauft und in der Bucht ein Steinkreuz als Wegmarke und Besitzanspruch hinterlassen.

Nachdem Vogelsang den ersten Kaufvertrag mit Fredericks abgeschlossen hatte, hisste er am 12. Mai die deutsche Flagge in der Bucht – auch wenn es noch ein Jahr dauern sollte, bis das Deutsche Reich formell die Schutzherrschaft für die Lüderitz’schen Besitzungen übernahm. Damit war Lüderitz der Brückenkopf des deutschen Kolonialabenteuers in Südwestafrika und gleichzeitig die Keimzelle Namibias.

Trotzdem hat die Stadt, die lange aus nicht mehr als ein paar Wellblechhütten bestand, bis heute mit ihrer geografischen Randlage zu kämpfen. Hinzu kommt die lebensfeindliche Umgebung: Kein Baum wächst ohne Hilfe, es gibt keine natürlichen Süßwasservorräte, nachts ist es kalt, tagsüber heiß. Unablässig weht der Wind, und oft legt sich feuchter, kalter Nebel über die Stadt. Eingekeilt zwischen zwei Wüsten – dem Sand der Namib und Kalahari – und den eisigen Fluten des Südatlantiks – ist es ein Wunder, dass sich Lüderitz bis heute behaupten konnte.

Maßgeblichen Anteil daran hatte ein Fund, den der einheimische Bahnarbeiter Zacharias Lewala 1908 im Wüstensand machte und den sein Chef, August Stauch, richtig als Diamanten erkannte. In der Folgezeit setzte ein Boom ein, der bis in die 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts anhielt. Villen und Geschäfte entstanden, ein Konzerthaus und eine Turnhalle wurden gebaut. 1912 wurde die Felsenkirche eingeweiht, und im Hafen lieferten Schiffe kistenweise Champagner, Rennpferde und edles Geschirr an.

Als der Diamantenabbau nach dem Ersten Weltkrieg weiter in den Süden verlagert wurde, traf der Niedergang Lüderitz unvermittelt. Auch die aufkommende Fischindustrie und einige Bootswerften konnten den Verfall nicht aufhalten. In den 70er Jahren galt Lüderitz gar als sterbende Stadt, nachdem es 1978 seine eigenständige Gemeindeverwaltung eingebüßt hatte, die südafrikanischen Behörden lieber in den Ausbau des Hafens von Walfish Bay investierten und der Stadt die Fischlizenzen zugunsten der südafrikanischen Hafenenklave entzogen wurden.

Hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Perspektiven führten zu einer massiven Entvölkerung. Die Zahl der Einwohner sank auf rund 2000 – Lüderitz drohte dasselbe Schicksal wie 50 Jahre zuvor schon Kolmanskuppe. Die heutige Geisterstadt war nach den Diamantenfunden mit Villen, Eisfabrik und Kasino inklusive Kegelbahn und Ballsaal rund zehn Kilometer von Lüderitz entfernt aus dem Wüstensand gestampft worden. Doch genauso schnell, wie sie erbaut wurde, war die Stadt nach dem Ende des Diamantenbooms auch wieder aufgegeben worden.

Um den Verfall von Lüderitzbucht zu stoppen, formierten sich Ende der 70er Jahre Bürger und Freunde der Stadt in einer Stiftung. Unter dem Motto „Andere Länder haben ihr Stellenbosch oder Heidelberg – Namibia hat seine Lüderitzbucht!“ bemühte man sich um die Erhaltung des kulturellen Erbes der Stadt. Eine Sofortmaßnahme war die Ankurbelung des Tourismus.

Luederitz (11)Nach der Unabhängigkeit des Landes 1990 sorgten dann ausländische Investitionen in den Off-Shore-Diamantenabbau und in die Fischverarbeitungsindustrie für einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Schaffung neuer Kai-Anlagen mit dem Ausbau der Hafenbecken zu einem Tiefwasserhafen, die Errichtung des Waterfrontkomplexes, die Ausbeutung des Kudu-Gasfeldes vor der Küste und der Kreuzfahrttourismus sorgen für eine weitere Entwicklung der ältesten Stadt Südwestafrikas. Und die hatte 2012 mit den höchsten Wachstumsraten bei den Immobilienpreisen im Vergleich aller namibischen Städte einen Rekord zu vermelden. Nach Angaben der First National Bank lag die Steigerungsrate bei 85 Prozent im Vergleich zu 2011. Deshalb lautet der Slogan der Lüderitzbucht-Stiftung heute: „Lüderitzbucht lebt – und ist näher als Du denkst!“ Denn auch die langersehnten letzten 110 Kilometer Teerstraße als Verbindung ins Hinterland sind mittlerweile fertig.

Veröffentlicht im „Mannheimer Morgen“, 18. Mai 2013

 

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