Namibia. An deutschen Universitäten lagern grausige Relikte aus der Kolonialzeit: Schädel von Herero- und Nama-Kriegern. Im September 2011 wurden erste Gebeine an Namibia zurückgegeben.
Vorsichtig legt ein Soldat der deutschen Schutztruppe einen Schädel in eine Kiste. Daneben liegen noch weitere Schädel. Die Szene zeigt die Verpackung von menschlichen Gebeinen, die zu wissenschaftlichen Zwecken nach Berlin verschifft werden. Dies verrät die Bildunterschrift der vergilbten Feldpostkarte, aufgegeben in Deutsch-Südwestafrika, wie das heutige Namibia zwischen 1884 und 1918 hieß. Schätzungen zu Folge sollen rund 3000 Schädel aus der Kolonie nach Deutschland verschifft worden sein, um an Universitäten, vor allem in Berlin, Göttingen und Freiburg, anthropologisch ausgewertet zu werden. Dafür wurden die Schädel systematisch vermessen, um so in eine „Rassen“-Hierachie eingeteilt zu werden. Außerdem glaubten die Forscher, von der Schädelform Hinweise auf die psychischen Eigenschaften ableiten zu können. Damit sollte die krude These der Rassenhygieniker, die von der Überlegenheit der weißen Rasse überzeugt waren, belegt werden.
2008 brachte eine ARD-Reportage die grausigen Relikte aus der Kolonialzeit ans Tageslicht. Bestürzung und Entsetzen waren die Reaktionen in Deutschland und Namibia, bilaterale Konsultationen die Folgen. Im Oktober 2008 hatten Vertreter der Herero und Nama mit Unterstützung der namibischen Regierung die Bundesrepublik zur Rückgabe der Schädel aufgefordert, damit diese ihre letzte Ruhe finden könnten. Das Auswärtige Amt unterstützte das Anliegen; 300.000 Euro der Deutschen Forschungsgemeinschaft wurden zur Identifizierung der namibischen Schädel bewilligt. Seit 2010 kümmert sich an der Berliner Charité ein kleines Team im „Charité Human Remains Project“ um die Aufarbeitung der anthropologischen Sammlung mit rund 7000 Schädeln.
Gestern sind die ersten 20 identifizierten Herero- und Nama-Schädel einer 60-köpfigen namibischen Delegation und im Beisein von zwei Ovaherero-Häuptlingen übergeben worden. Alle Toten waren Opfer des Kolonial-Krieges von 1904 bis 1908. Elf der Toten waren Nama, neun Herero. Beide Volksgruppen hatten sich 1904 gegen die deutsche Kolonialmacht erhoben. In einem mit äußerster Härte geführten Krieg kamen schätzungsweise 80 Prozent der 40.000 bis 100.000 Herero und 50 Prozent der rund 22.000 Nama ums Leben. Bei den nun zurückgegebenen Schädeln handelt es sich nach Angaben der Charité um 16 Männer – darunter ein Kind – und vier Frauen.
„Heute wissen wir, die Anthropologen haben Unrecht begangen, an Lebenden wie an Toten. Sie sahen Menschen als Material und verstießen auch gegen Werte, die zu ihrer Zeit galten“, sagte eine Sprecherin der Charité. Ihren Weg nach Deutschland haben die Gebeine nämlich unter ethisch fragwürdigen Bedingungen genommen, da die Mehrzahl der Schädel von gefallenen, hingerichteten oder von an Entkräftung in den Konzentrationslagern gestorbenen Herero und Nama stammt. Auch bei den 20 jetzt zurückgegebenen Schädeln konnte in 18 Fällen nachgewiesen werden, dass die Menschen in einem Konzentrationslager auf der Haifischinsel vor Lüderitz umgekommen sind. Bei drei von ihnen konnten die Experten zudem auch die Krankheit Skorbut nachweisen.
Um die Wünsche der Wissenschaftler in der Heimat nach „Menschenmaterial“ zu befriedigen, arbeiteten Militär und Verwaltung Hand in Hand und bedienten sich hemmungslos und systematisch der sterblichen Überresten von Einheimischen. So mussten weibliche Gefangene mit kochendem Wasser und Glasscherben Schädel von Fleisch und Haaren befreien und für den Transport aufbereiten. Doch nicht nur aus Südwestafrika bekamen die Forscher ihre Objekte. Die Ost- und Zentralafrika-Expedition des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg brachte 1908 rund 1000 Schädel für die Forschung mit. Daneben finden sich in den Magazinen auch die Schädel australischer Ureinwohner. Die Knochen kamen Anfang des 20. Jahrhunderts über ein Hamburger Versandhaus, das einen regen Handel mit „ethnographischen Artikeln“ betrieb, ins Land.
Einer, der sich besonders um den wissenschaftlichen Rassismus verdient gemacht hat und als Wegbereiter der nationalsozialistischen Rassentheorie gilt, war der Anthropologe und Rassenhygieniker Eugen Fischer. Der Freiburger Forscher ließ sich nicht nur Schädel- und Weichteile aus den Kolonien schicken – darunter auch drei präparierte Köpfe aus der Südsee. Fischer machte vor Ort auch eigene Studien. Dabei führte ihn 1907/08 eine Expedition nach Deutsch-Südwestafrika, um die „Rehoboter Baster“ zu erforschen. Im Dienst der Wissenschaft soll er in der Nähe von Swakopmund auch Gräber von Einheimischen geöffnet und Leichname entwendet haben.
Was mit den 20 jetzt nach Namibia überführten Schädeln geschieht, ist noch nicht endgültig geklärt. Begraben könne man die Schädel nach namibischer Tradition nicht mehr, da die Körper nicht vollständig seien, erklärte die Vorsitzende des Nama-Komitees, Ida Hoffmann. Am Mittwoch wird Namibias Staatspräsident Pohamba die Delegation und die Schädel im Parlamentsgarten feierlich empfangen. Danach soll ein Teil der Schädel vielleicht im Unabhängigkeitsmuseum, das in Windhoek neben der Alten Feste aus der deutschen Kolonialzeit gerade gebaut wird, gezeigt werden.
Veröffentlicht im „Mannheimer Morgen“, 1. Oktober 2011