Im Tanz des ugandischen Alltags

UNCB Fusion-24Uganda. Kann man das Schicksal von Kindersoldaten auf die Bühne bringen? Das unendliche Leid von Kindern, die unter dem Einfluss von Verschleppung, Gewalt und Drogen gezwungen wurden selber zu foltern und zu töten? Die Tänzerin und Choreographin Valérie Miquel hat die Herausforderung angenommen und mit „Memories of child soldiers“ ein tiefgründiges Tanztheater kreiert. Heute – drei Jahre später – ist die gebürtige Französin die Leiterin des ambitionierten „Uganda National Contemporary Ballet“.

„In Kampala habe ich die Chance bekommen mich selber zu verwirklichen“, sagt Valérie Miquel. Damals, im Jahr 2007, haben das Goethe Institut und die Alliance Française jemanden gesucht, der ein Stück über Kindersoldaten macht. „Ich habe den Job bekommen und hätte nie gedacht, dass sich mein Leben so verändert“, erklärt sie. Wochenlang ist die Tänzerin mit einem Kameramann durch den vom Bürgerkrieg zerstörten Norden des Landes gereist, hat mit ehemaligen Kindersoldaten der Lord Resistance Army gesprochen, sich ihre Geschichten angehört und die überfüllten Camps der Flüchtlinge besucht. Was sie in diesen Wochen gesehen hat, hat Valérie Miquel tief berührt. In „Memories of child soldiers“, einer Mischung aus Tanztheater, Video-Performance und Live-Musik, hat sie ihre Eindrücke verarbeitet. „Das Stück will aufrütteln, auf das Leid der Kinder aufmerksam machen, mithelfen, das derartige Verbrechen nie wieder passieren“, erklärt sie.

DSC_0722_2Bevor Valérie Miquel nach Uganda kam, war Mannheim zwölf Jahre lang ihre Heimat. Dort hat sie mit dem „Trio Musique Visuelle“ die Musik-Szene mit einer Mischung aus Modern Dance und Jazz aufgemischt. „Meine Musiker vermisse ich schon“, sagt sie. „Und das gemütliche Bummeln über die Heidelberger Hauptstraße. Natürlich auch den romantischen Blick über das Schloss und den Neckar.“ Trotzdem fühlt sie sich in ihrer neuen Heimat wohl. Einen wesentlichen Anteil daran hat ihr Ensemble. Zusammen mit sechs Männern, einer Frau und Hermann Ssewanyana, einem der besten Perkussionisten Ugandas, bringt sie ihre Ideen auf die Bühne.

„Die Mitglieder meines Ensembles sind echte Profis, haben an der Makerere Universität in Kampala studiert und eine Ausbildung in traditionellem, klassischem und zeitgenössischem Tanz“, sagt Miguel. Einige haben sich sogar gegen den Widerstand ihrer Familien dafür entschieden. „Tänzer ist in Uganda kein angesehener Beruf und wird schlecht bezahlt“, erklärt Valérie Miquel. Umgerechnet rund 85 Euro verdienen ihre Tänzer im Monat, manche geben noch Tanzunterricht, um etwas Geld hinzuzuverdienen. „Viele Familien haben da andere Pläne für ihre Kinder und wollen, dass diese ins Ausland gehen, um mehr Geld zu verdienen“, so die Ballett-Chefin. Für Patrick Kaddu, Tänzer und stellvertretender Ballett-Chef, ist sein Beruf aber eine Herzensangelegenheit. „Ich habe schon als kleiner Junge immer getanzt. Für mich ist das ein Weg, um meine Gefühle auszudrücken“, erklärt Kaddu.

Gefühle spielen in den Stücken immer ein wichtige Rolle, mit traditionellem afrikanischen Tanz hat das Programm dagegen wenig zu tun. Im Gegenteil: Bewusst werden verschiedene Tanzstile mit Artistik, Breakdance und Elementen von HipHop vermischt. „Wir wollen keine Lösungen bieten, sondern den Zuschauer zum Nachdenken anregen“, erklärt Kaddu.

UNCB_Batcheller65Die Premiere von „Memories of child soldiers“ im September 2007 jedenfalls war ein voller Erfolg. Über 800 Zuschauer feierten die Gruppe – die damals noch „Burundani Dance Company“ hieß – in Kampala. Im Februar 2008 wurde das Stück auch beim Staatsbesuch von Horst Köhler in Uganda aufgeführt. Der damalige Bundespräsident war so begeistert, dass er Tournee-Pläne für Deutschland aktiv unterstützt hat. Zwei Wochen ist Valérie Miquel schließlich mit ihren Tänzern durch Deutschland gereist. „Im Heidelberger Theater sind die Menschen aufgestanden, haben geklatscht und hatten Tränen in den Augen. Das habe ich noch nie erlebt“, erinnert sie sich an die Tournee, die das Ensemble danach noch nach Frankreich und Ostafrika geführt hat.

Nach dem internationalen Erfolg muss sich Valérie Miquel zwischen Afrika und Deutschland entscheiden. Ihre Wahl fällt auf Uganda. „Das Leben hier ist arm, aber es ist ein echtes Leben“, erklärt Miguel.  Aus der „Burundani Dance Company“ geht im März 2009 schließlich das „Uganda National Contemporary Ballet“ hervor. Unter einfachsten Bedingungen setzt Valérie Miquel jetzt ihre Ideen um. Dabei ist permanente Improvisation gefragt. „An manchen Tagen fällt stundenlang der Strom aus“, sagt sie. Dann lässt die Ballett-Chefin einfach im Kerzenlicht proben. „Es geht nie wie du willst, aber irgendwie geht es trotzdem. In Europa muss dagegen immer alles perfekt sein“, sagt sie und lacht.

Zum Glück sind ihre alten Freunde und Musiker dank Facebook & Co. immer schnell erreichbar und nie weit weg. „Werner Goos schickt mir immer wieder CDs mit Liedern für meine Stücke“, erklärt Miquel die länderübergreifende Zusammenarbeit mit ihren alten Musikern. Auch die Musik für „Memories of child soldiers“ stammt aus Goos’ Feder.

Woher die Ideen für ihre Stücke kommen, kann die Französin nicht so leicht erklären. „Sie kommen einfach.“ Viele Themen ihrer gesellschaftskritischen Stücke liegen buchstäblich auf der Straße. So hat sie zum Beispiel ein Stück über Eifersucht und die daraus resultierende Gewalt gemacht. „Das ist ein riesiges Problem hier. Man liest davon fast jeden Trag in der Zeitung“, sagt Valérie Miquel.

Mindestens zwei Auftritte im Monat hat das Ensemble, täglich vier Stunden wird dafür im Nationaltheater geprobt. Dass Pünktlichkeit nicht unbedingt eine afrikanische Tugend ist, hat Valérie Miquel dabei lernen müssen. „Am Anfang habe ich stundenlang auf meine Tänzer gewartet. Manchmal sind sie auch gar nicht erschienen.“ Dann hat sie durchgegriffen und eine Strafkasse eingeführt. 5.000 Shilling – umgerechnet zwei Euro – hat die Ballett- Chefin ihren Tänzern für jede Unpünktlichkeit vom Gehalt abgezogen. „Das hat geholfen“, sagt Valérie Miquel. „Jetzt sind alle immer pünktlich.“

Mehr zum Uganda National Contemporary Ballet unter: www.ugandanationalcontemporaryballet.org

Veröffentlicht im „Mannheimer Morgen“ und der „Afrika Post“

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